Mit Jesus zum ‚Freund Gottes‘ werden
Berlin, 23.April 2020
Als ich mich vor gut 29 Jahren bekehrte, war es für mich ein großes Geschenk, eine gute Lutherbibel mit Konkordanz zu haben.
Damals druckte man wichtige Überschriften noch fett – und die vielen Zitate aus dem Alten Testament hob man so hervor, dass im Text gleich zu sehen war, woher sie stammten.
Es gibt gewiss keine bessere Möglichkeit, das Ineinander von Altem und Neuem Bund hervorzuheben.
Nun bin ich seit 13 Jahren glücklich katholisch. Die Lutherbibel ist natürlich katholischerseits nicht vom Heiligen Stuhl approbiert, also lehramtlich bestätigt.
Zwar ist die Einheitsübersetzung lehramtlich sicher unanfechtbar, die vielfältigen Bezüge der einen Heiligen Schrift zueinander sind, bestenfalls, in winzig kleinen Fußnoten gegeben.
Nun, mein Gedächtnis ist ein photographisches, es lebt geradezu von den dicken Überschriften und den kursiv gesetzten Zitaten: an die Einheitsübersetzung habe ich mich nie gewöhnt!
Ich googele also immer die Lutherbibel-Zitate und blättere dann in der Einheitsübersetzung, um sie dort wiederzufinden.
An der unbedingten Einheit von Altem und Neuem Bund festzuhalten, hat rein gar nichts mit einem falsch verstandenen Philosemitismus zu tun, der sogar häretisch meint, Juden müssten sich nicht zu ihrem Erlöser Jesus Christus bekehren.
Nein, ohne Jesus gibt es kein Heil.
Aber, wie es Jesus lehrt: „Das Heil kommt von den Juden“[1].
Und ich meine: Abraham ist der Schlüssel zum Verständnis des jüdischen Messias Jesus Christus.
Bisher dachte ich immer: Stammvater Abraham, das ist doch derjenige, den Paulus als Urbild des Glaubenden anführt.[2] Ich dachte immer: naja, gute Idee!
Aber es ist nicht nur eine gute Idee des jüdischen Rabbiners Paulus; Abraham ist das Urbild schlechthin.
- Ein Hinweis im Lobgesang Mariens
Im Oktober 2019, im letzten Jahr also, fiel es mir wie Schuppen aus den Augen.
Maria singt im Magnificat: ER „denkt an sein Erbarmen, das er unsern Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.“[3]
Wie häufig hatte ich es gebetet und innerlich gedacht: „OK, sie denkt an die Stammväter Abraham, Isaak und Jakob: das ist OK.“[4]
Es ist mehr als OK, denn es ist revolutionär, denn wenige Tage nach der Geburt Jesu empfängt sie die heiligen drei Könige aus dem Morgenland.[5]
Es sind ungetaufte Heiden – ganz genau so, wie es Vater Abraham einmal war: Abram war ein unbeschnittener Heide, der zum Glauben an Gott erst später kam und damit zum Abraham wurde.
Die Verheißung Jesu, Licht der Heiden zu sein, also die weltweite Sendung Jesu an die Heidenvölker, ist genau hier schon im Blick.
Versuchen wir nochmals kurz innezuhalten: Jesus Christus war
- der Neue Mose, der z.B. in der Bergpredigt[6] das heilige Gesetz Gottes, die Torah, neu ausgelegt hat und sich z.B. die Pharisäer und Sadduzäer zu Todfeinden machte.
- Der Sohn Davids[7], der das Himmelreich Gottes auf Erden regiert und die irdischen Herrscher, wie z.B. Herodes, hinwegfegte.
- Das Osterlamm[8], das der Welt Sünde trägt und damit den Kult im Jerusalemer Tempel ad acta legte.
All das ist uns gut bekannt: aber Abraham?
Am Anfang aller Bundesschlüsse stand der Allererste mit Vater Abraham: ein Heide, der zum Juden wurde! Erst dann kam der Bundesschluss des Mose mit den Kindern Israels am Horeb. Und erst dann kam das Königtum Davids.
Jesus vereint alle beiden Verheißungen: die Verheißung des Neuen Mose[9] und die Verheißung an Nathan[10] des ewigen Königtums an das Haus David: natürlich.
Aber es ist Abraham, der ganz am Anfang steht. Und der zuerst ein unbeschnittener Heide war: sollte ein ehemaliger Heide, ein Proselyt[11] gar, ein Vorbild für Israel sein?
Im Folgenden will ich einige wenige Hinweise geben, wo Abraham im Neuen Testament genannt wird und welche Bedeutung es für uns Christen hat.
- Abraham im Alten Testament
Um die ganze revolutionäre Sichtweise der Verheißung Gottes an Abraham verstehen zu können, müssen wir begreifen, dass er ein unbeschnittener Heide war, den Gott aus einem tief heidnischen Land, aus Aram, erwählt hat.[12]
Israel, das Heilige Land, gab es noch nicht.
In der Überlieferung Israels heißt es eindeutig: „Mein Vater war ein heimatloser Aramäer. Er zog nach Ägypten, lebte dort als Fremder mit wenigen Leuten und wurde dort zu einem großen, mächtigen und zahlreichen Volk.“[13]
Wenn Israel zu Mariens Zeit immerhin ein Staat unter anderen geworden ist und genau in dem Land lebt, „in dem Milch und Honig fließen“[14], im gelobten Land, in Israel, warum der Rückgriff auf einen Heimatlosen?
Es ist doch schon alles da: es fehlt eigentlich nur eine gute Regierung, ein guter König, natürlich aus dem Hause David?
Für jüdische Ohren ist Vater Abraham einerseits natürlich vertraut: er steht am Anfang und hielt Gott die Treue. Und doch ist genau seine Geschichte die eines Pilgers, unstet und flüchtig!
- Die Verheißung Gottes an Abraham
Aus Abram (mrba)) wird Abraham (mhrba), was auf Hebräisch so viel wie ‚Vater der Völker‘ heißt. Der Name kommt von ba für Vater und mhr für Völker.
Im ersten Buch Mose spricht Gott im siebzehnten Kapitel: „Man wird dich nicht mehr Abram nennen. Abraham, Vater der Menge, wird dein Name sein; denn zum Stammvater einer Menge von Völkern habe ich dich bestimmt. Ich mache dich über alle Maßen fruchtbar und lass dich zu Völkern werden; Könige werden von dir abstammen. Ich richte meinen Bund auf zwischen mir und dir und mit deinen Nachkommen nach dir; Generation um Generation, einen ewigen Bund: Für dich und deine Nachkommen nach dir werde ich Gott sein.“[15]
Das Irritierende muss sein: ein Bund ist möglich, ohne den Tempelkult und ohne das Gesetz des Mose.
In den Anfängen des Judentums waren Verhältnisse möglich, die später für unmöglich erklärt wurden.
Wir sehen: Abraham ist nicht ein alter Zopf, den Paulus abgeschnitten hat, sondern höchst bedeutsam.
Zumindest ist klar: ein Bund mit Gott geht auch ohne Gesetzesrolle (Mose) und ohne irdischen Staat (David).
- Die Verehrung der heiligen drei Könige
Die Verheißung an Abraham im Magnificat Mariens haben wir schon gehört. Bedenken wir immer: die blutjunge Maria war bei der Geburt Jesu gerade einmal fünfzehn Jahre alt.
Und sie gebar mit Jesus den Todfeind des Herodes, des damaligen unrechtmäßigen Königs, der gar kein Jude war, sondern aus Edom abstammte, nämlich von den Idumäern.[16]
Die Idumäer hatten die jüdische Religion angenommen, aber blieben Heiden.
Jesus war Jude und aus dem Stamm Juda. Sein Stammbaum weist darauf hin, dass er ein Abkomme Davids war.
Wenn es schon mutig ist, wenn Maria in Jesus den verheißenen Nachkommen Davids geboren hat, dann ist noch atemberaubender, wenn sich zugleich die Verheißung an Abraham erfüllt.
Wenn also der verheißene Segen für die Heidenvölker kommt.
Und die Heidenvölker kommen, gleich nach der Geburt Jesu, zu Maria nach Bethlehem in Gestalt von drei Königen.
Und wie eine Königinmutter nimmt sie die Huldigung ganz selbstverständlich entgegen – und nimmt damit gleichsam alles vorweg, was der noch jungen Kirche große Kopfschmerzen machte.
Ja, es braucht das erste Konzil in Jerusalem, das diese schwere Frage knackte.[17]
Noch der Apostelfürst Petrus musste von Gott in einer Vision ermahnt werden, den heidnischen Römerhauptmann Cornelius zu empfangen.
Petrus spricht zu ihm: „Ihr wisst, dass es einem Juden nicht erlaubt ist, mit einem Nichtjuden zu verkehren oder sein Haus zu betreten; mir aber hat Gott gezeigt, dass man keinen Menschen unheilig oder unrein nennen darf.“[18]
Nun, die heiligen drei König waren krasse ungetaufte Heiden und stapften so mir nichts, dir nichts in die Geburtsgrotte hinein.
Und, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt: Maria empfing sie!
In der Heiligen Schrift heißt es: „Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar.“[19]
Damit war Maria nicht nur offen für den Messias als dem neu geborenen König der Juden, sondern sie durchbrach quasi eine Schallmauer.
Abraham wurde wieder aktuell: wie ein alter Baumstumpf, der neu sprießt!
- Die Versuchung Jesu
Lange habe ich gebraucht, ehe ich verstanden habe, dass die Versuchungsgeschichte eindeutig auf Abraham zielt und ihn zum Urbild hat – und nicht auf Mose, wie einige Ausleger meinen.
Jesus Christus ist auch der Legislator Novus, der neue Mose, aber mehr als das.
Wie auch bei Abraham hat die Versuchung Jesu in der Wüste drei Stufen.[20]
Und wie auch bei Abraham hat die Versuchung ein Ende – auf dem Berge Moriah, das nach biblischer Überlieferung der Tempelberg ist.[21]
- Abraham ist ein Freund Gottes
Umwerfend aber ist die Übereinstimmung in der Eigenschaft, ein Freund zu sein. Das ist wahrhaft revolutionär.
König, Gesetzgeber und Priester: das kennen die Menschen schon von alters her. Aber der Sohn Gottes ein Freund der Menschen?
Wir erinnern uns, wie es Jesus selbst gesagt hat: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe.“[22]
Und hier habe wir ebenfalls eine einzigartige Übereinstimmung, denn Abraham ist der einzige der Altvorderen, der „Freund Gottes“ genannt wird.
Im 2.Buch der Chronik heißt es: „Hast nicht du, unser Gott, die Bewohner dieses Landes vor deinem Volk Israel vertrieben und für alle Zeiten ihr Gebiet den Nachkommen Abrahams, deines Freundes, gegeben?“[23]
Beim größten aller Propheten, Jesaja, heisst es: „Du aber Israel, mein Knecht, Jakob, den ich erwählt habe, Nachkomme meines Freundes Abraham“[24].
Und der Herrenbruder Jakobus schreibt: „So hat sich das Wort der Schrift erfüllt: Abraham glaubte Gott und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet und er wurde Freund Gottes genannt.“[25]
- Abraham ist der Schlüssel für die Jesus-Revolution
Abraham kann uns ein wunderbares Vorbild sein, nämlich der Freundschaft mit Gott!
Unser Vater ist letztlich wie wir ein heimatloser Pilger, der keinen Staat hinter sich hat, aber einen Gott neben sich und eine Verheißung vor sich!
[1] Joh 4,22b.
[2] Vgl. z.B. Röm 4.
[3] Lk 1,54b.55.
[4] Vgl. den lapidaren Artikel von Joachim Jeremias in ThWNT 1 zu Abraham.
[5] Vgl. Mt 2,1-12.
[6] Vgl. Mt 5-7.
[7] Vgl. den Einzug Jesu in Jerusalem in Mt 21,1-10 sowie die Antwort Jesu vor Pilatus in Mt 27,11.
[8] Vgl. das Paschamahl mit den Jüngern in Mt 26,17-29.
[9] Vgl. Dtn 18,15.
[10] Vgl. 2 Sam 7.
[11] Vgl. die Bemerkungen von Klaus Berger im gleichnamigen Artikel in TRE 1, 375.
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham
[13] Dtn 26,5b.c.
[14] Ex 33,3.
[15] Gen 17,4-8.
[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Herodes#Herkunft
[17] Vgl. Apg 15.
[18] Apg 10,28; vgl. dazu das ganze 10.Kapitel.
[19] Mt 2,11f.
[20] Vgl. Gen 22.
[21] https://de.wikipedia.org/wiki/Tempelberg#Moriah
[22] Joh, 15,15.
[23] 2 Chr 20,7.
[24] Jes 41,8.
[25] Jak 2,23.
