Wenn die Moral fehlt
Berlin, 29.August 2020
- Als 2015 mehrere Kommunen die eigenen Bürger wegen Eigenbedarf aus ihren Wohnungen herausklagten
Ich weiß noch, als wäre es heute. Ein Freitag, Fahrt mit der S-Bahn in das wohlverdiente Wochenende.
Was gibt es Schöneres, als in der abonnierten Lieblingszeitung zu lesen? Damals war der beste Journalist Deutschlands, Stefan Aust, nicht nur Herausgeber, sondern auch Chefredakteur der ‚Welt‘.
Damals, es war Freitag, 25.September 2015, also gleich nach der illegalen Grenzöffnung der Bundeskanzlerin.
Jeden Tag strömten Zehntausende nach Deutschland, jeden Tag. Schon Ende September stießen die Behörden auf Grenzen. Schon im September.
Und kamen auf dumme Gedanken, äußerst dumme Gedanken. Sie klagten gegen die eigene Bevölkerung, gegen diejenigen, die „schon länger“ hier sind, um die Worte der Kanzlerin aufzunehmen.
Weil es billiger ist, die eigenen Steuer zahlenden Mitbürger aus den gemeindeeigenen Wohnungen zu kündigen, als teure Hotels oder Pensionen zu mieten, gab es am Anfang solche Fälle wie im Baden-Württembergs Eschbach.[1]
Am Ende des Artikels[2] war ich wie erschlagen: warum sollen diejenigen, die Steuern zahlen und dem sozial wertvollen Beruf der Krankenschwester nachgehen, aus ihren Wohnungen geworfen werden, um denjenigen, die neu hinzukommen, Platz zu machen?
Das ist eklatantes Unrecht. Meine Welt war nicht in Ordnung, als ich ‚Die Welt‘ las: geradezu zynisch hat der Journalist sogar Verständnis für die ‚Notlage‘ der Behörden gehabt und versucht, die verschiedenen ‚Interessen‘ allseitig abzuwägen. Er hatte Angst, als Ausländerfeind gebrandmarkt zu werden. Er hatte Angst um seinen guten Ruf und um seine Karriere.
Das ist schon verständlich, irgendwie. Aber dabei den Skandal, der darin liegt, gar nicht erst deutlich zu machen, sondern sogar volkspädagogisch zu verdecken: das ist mies, ganz mies.
Und allseitig abwägen? Sind wir Bürger ein Spielball von fehlgeleiteten Amtsträgern, die Bittgesuche unterscheiben dürfen, wenn ihr grundlegendes Recht mit Füßen getreten wird?
Recht ist Recht und muss Recht bleiben. Haben sich Journalisten dem Recht nicht zu beugen, sondern dürfen als Mietlinge einfach drauflos schreiben?
- Wenn ein VW-Vorstandsvorsitzender Welt-Chefredakteur spielen darf
Anfang Mai 2019 traute ich wiederum meinen Augen nicht: da lächelte mir der VW-Chef entgegen. Viele doppelseitige und einseitige VW-Werbe-Anzeigen ließ er schalten. Und ‚Die Welt‘ unter dem eigentlichen Chefredakteur Ulf Posch. dankte es ihm mit einem einseitigen, ja doppelbödigen Interview.
Zuvor war im März 2019 eine Heuschrecke namens KKR als Minderheitsbeteiligung bei der ‚Axel Springer AG‘ eingestiegen, um das Blatt profitabler zu machen. Eine Bestandgarantie gäbe es nicht für die Welt-Gruppe, wie damals die FAZ süffisant anmerkte.
Das ehemalige Flaggschiff des Springerkonzerns käuflich? Ein kleines Bisschen schon irgendwie, meinte der ‚Deutsche Presserat‘, als er meine Beschwerde und die von drei Anderen billigte, um die zweitmildeste Form der Sanktion, die Missbilligung, auszusprechen. Eine Missbilligung muss nicht im Blatt gedruckt werden. So hat es sicher niemand erfahren, was der Springerkonzern so alles treibt.
In früheren Jahren wäre es ein offen diskutierter Skandal gewesen, den die Konkurrenz vollkommen zu Recht aufgenommen hätte: ein Riesen-DAX-Unternehmen mit gewaltigen Wirtschaftsinteressen darf sich eine überregionale Tageszeitung kaufen, wenigstens für einen Tag.
- Inobhutnahme von Kindern aus intakten Familien als Corona-Maßnahme
Seit dem Sommer 2019 lese ich nun die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘, das teuerste Blatt Deutschlands. Bis Corona hatte ich einen insgesamt guten Eindruck.
Dann wurden viele, allzu viele Stellungnahmen von drittrangigen Politikern gedruckt; ohne jeden begleitenden Kommentar und vollkommen belanglos; eine Diskussion fand nicht statt.
Zudem gab es eine enorme Diskrepanz zwischen dem Politik-Teil und der Wirtschaftsredaktion, die schon in der ‚Welt‘ zu spüren war. Während die Wirtschafts- und Finanzredaktion gut recherchiert kritisiert und aufdeckt, sind die politischen Redakteure lahmfromm und ohne jeden Elan.[3]
Im Facebook-Untergrund, anders ist es nicht mehr zu nennen, gab es Hinweise auf eine besonders drastische Maßnahme staatlicher Behörden: die Inobhutnahme von Kleinkindern aus ihren intakten Familien als Corona-Quarantäne-Maßnahme.[4]
Da war es wieder: das besonders krasse Unrecht. Wehrlose Kinder den Eltern wegnehmen aufgrund einer Seuche, die normalerweise nicht unmittelbar das Leben kostet, sondern nur als reine Präventivmaßnahme, um weitere Ansteckungen zu verhindern.
Also eine Maßnahme des Als-ob: vielleicht könnte sollte oder wollte oder könnte?
Wiederum ein zynischer Journalist, der sich in weichgespülten ‚Abwägungen‘ ergeht, die nicht anders als widerwärtig genannt werden können: ja, es gäbe ja noch nicht einmal einen einzigen Fall, in welchem die Behörden können sollten oder wollten…
Ist es denkbar, dass Eltern, die mit solchen Behörden umgehen dürfen, nicht im Dreieck springen und die Welt nicht mehr verstehen?
Was bliebe, ist nur die Flucht, oder? Aber wohin: ohne die Kinder? Oder es bliebe der bewaffnete Selbstschutz – wie im Wilden Westen?
- Ein Skandal ist es, wenn es keine Skandale mehr gibt
Ein Journalismus ohne Moral ist überflüssig. Und eine Presse, die offenkundige Skandale als solche nicht benennen will, ist gefährlich.
Lang ist es her, als so wichtige Magazine wie ‚Der Spiegel‘ hochbrisante Dokumente veröffentlichten, um Skandale aufzudecken.
Die freie Presse wird zu Recht die vierte Gewalt genannt.
Eine gelinde gesagt lückenhafte Presse ist selbst ein Skandal.
Wer heute in Google die Begriffe ‚Spiegel + Skandal‘ eingibt, kommt auf den Treffer ‚Claas Relotius‘[5] und nicht auf die ‚Spiegel-Affäre‘ von 1962[6], die die
[1] https://www.welt.de/wirtschaft/article147001172/Mieterin-soll-nach-23-Jahren-Fluechtlingen-Platz-machen.html Der gedruckte Artikel, über den ich leider nicht mehr verfüge, war viel ausführlicher.
[2] Vgl. auch die Zeitung, die zuerst berichtete: https://www.badische-zeitung.de/gemeinde-eschbach-kuendigt-mieterin-um-fluechtlinge-unterzubringen
[3] Ein besonders übles Beispiel für Weichspülerei gepaart mit Langeweile war das Laschet-Spahn-Interview: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/laschet-und-spahn-zu-corona-zwang-ist-nur-das-letzte-mittel-16925374.html
[4] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/was-deutsche-behoerden-familien-in-der-corona-pandemie-androhen-16913638.html
