Woher kommt die Krise?
Berlin, 24.Mai 2021
- Eine krasse Alltagserfahrung – jährlich wiederkehrend
Heute wieder. So der typische Pfingstmontag in einer Berliner Kirchengemeinde innerhalb der deutschen Ortskirche.
Ich so: Freude auf die Predigt, denn Pfingstmontag ist in Deutschland ein gebotener Feiertag. Also ein Wochentag, der einem Sonntag gleicht.
Aber der Kleriker so: „Heute predigt uns die Orgel!“ Und schon haut der Organist auf die Tasten, dass der schwere Verstoß gegen das Kirchenrecht nur so kracht: größte Qual, direkt aus der Hölle.
Und das kanonische Recht in Can. 767, 2 so: „An Sonntagen und gebotenen Feiertagen ist in allen Messen, die unter Beteiligung des Volkes gefeiert werden, eine Homilie zu halten; sie darf nur aus schwerwiegendem Grund ausfallen.“[1]
Der Kleriker ließ zusätzlich, natürlich (?) mangels zu erwartender Masse an Gläubigen, den Familiengottesdienst ausfallen.
Diesen Verfall der Sitten des Klerus bedingt natürlich den Zerfall der Moral der Gläubigen, was sonst.
Also, heute wieder: die ganze dumpfe innere Fäulnis der deutschen Ortskirche – im Mikrokosmos eines Klerikers, der von anderen gerne die Behauptung hören möchte, er wäre glaubenstreu.
Ein glaubenstreuer Priester hält sich an das kanonische Recht, denn es ist zutiefst göttliches Recht.
Denn der Glaube kommt durch das Hören: fides ex auditu.[2] So beschreibt es Paulus in seinem wichtigsten Brief, dem an die Römer. Und auf das Wort Gottes hören können wir Sterbliche nur, wenn das Wort Gottes gepredigt wird. Punkt.
- Sünde: ein Fremdwort fast aller Priester
Berechtigt im Alltag ist es, bestimmte Worte mit einem Bann zu belegen. Das also, was uns auf der Zunge liegt, aber letztlich ein Fluch ist, z.B. das Sch-Wort für körperliche Ausscheidungen.
Ausnahmslos alle Kleriker halten sich daran, das S-Wort für Handlungen „in Gedanken, Worten und Werken“[3] aus ihrem Wortschatz zu verbannen.
Und noch schlimmer: das S-Wort im Alltag zu erklären. Nein, wer weiß heute schon noch um den Zusammenhang von schlechten Handlungen, die zum ewigen Tod führen können?
- Verwaiste Beichtstühle
Wenn weniger als zehn Prozent der Katholiken in Deutschland beichten gehen, dürfte nur ein Promille zur Beichte gehen: weniger als ein Prozent.
Als ich Mitte März diesen Jahres noch jede Woche zur Beichte ging, also mindestens fünfzig Mal im Jahr, war ich gefühlt der Einzige in der Pfarrei.
Jetzt gehe ich einmal im Monat – und bleibe dennoch allein: wo sind die anderen? Bei anderen Beichtvätern?
Nein, es gibt nur noch wenige Pfarrer, die regelmäßig im Beichtstuhl anzutreffen sind, verschwindend wenige.
- Glaubenskrise weltweit: Ostern 2020 ohne öffentliche Gottesdienste
Die Eucharistie ist für katholische Gläubige das schlechthin notwendige Brot der Engel auf dem Weg der irdischen Pilgerschaft: die Dosis an Glaubenskraft, ohne welche alles andere nichts ist – das non plus ultra!
Und die Covid-19-Pandemie deckte es auf: die katholische Kirche ist nicht nur in Deutschland, sondern weltweit in ihren Glaubensgrundlagen erschüttert.
Der offizielle Medienkonzern des Vatikans, Vatican News, bekennt zu Ostern 2020: „Das gab’s noch nie: Kar- und Osterfeierlichkeiten im Vatikan ohne die Teilnahme von Gläubigen. Doch wegen der Corona-Krise muss Papst Franziskus dieses Jahr tatsächlich die wichtigsten Liturgien des Kirchenjahres hinter verschlossenen Türen feiern.“[4]
In vorauseilendem Gehorsam, ohne äußeren Zwang, hat der Heilige Vater in Gemeinschaft mit vielen Bischöfen der Weltkirche die Austeilung der wichtigsten Sakramente – Taufe, Firmung, Beichte und Eucharistie – praktisch eingestellt.
Der Status quo des Glaubensabfalls in Deutschland, z.B. am Pfingstmontag, ist derjenige der Weltkirche höchstselbst.
Ja, Covid-19 ist eine Gefahr für Leib und Leben, besonders dann, wenn sie unterschätzt wird. Und nicht viel schlimmer als eine Grippe.
Selbst zu Zeiten von Pest und Cholera – also viel schlimmeren, weil unmittelbar lebensgefährlichen Seuchen – hat die Glaubenskraft der Weltkirche niemals dazu geführt, die Glaubenspraxis einzustellen. Einschränken ja, aber nicht einfach für viele Monate verbieten.
Halten wir fest: der säkulare Staat verbietet der katholischen Kirche die Ausübung ihres Glaubens in ihrem Herzinneren – der Eucharistie! –, und die katholische Kirche protestiert noch nicht einmal, jedenfalls nicht in ihrem Zentrum, im Vatikan.
Ulrich Nersinger urteilt im offiziellen Vatikan-Medium: „‘Ich habe bisher nichts Vergleichbares gefunden, nicht mal, als in Rom die Cholera wütete, oder in den Kriegszeiten.‘ Das sagte Vatikan-Experte Ulrich Nersinger dem Kölner Domradio. ‚Man hat immer gewisse Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Aber man hat nie ganz auf die Zeremonie öffentlicher Gottesdienste verzichtet.‘“[5]
- Wie konnte es zu dieser inneren Fäulnis im Herzen der Weltkirche kommen?
Ich selbst bin ein Riesenfan des heiligen Zweiten Vatikanischen Konzils. Die wunderbare Liturgie in der Volkssprache war seit dem Größten aller Konzile, dem Tridentinum, überfällig, also seit vierhundert Jahren.
Und die Vollendung der Lehre über die Kirche mit dem wunderbaren subsist in ein Meilenstein in der Ökumene.
Nein, dem Buchstaben nach können ökumenische Konzile nicht irren.
Und doch mangelte es an dem typisch katholischen Kampfgeist. Denn die damals drängendste Frage war die nach der Sexualmoral.
Drei Jahre nach dem Konzil[6] geschah die Revolution von 1968, die bis heute für unsere westlichen Gesellschaften prägend ist.
Quasi kampf- und waffenlos suchte das Zweite Vatikanischen Konzil den Anschluss an die Welt, die ihn gar nicht wollte.
So wichtige Fragen wie die nach der Verhütung und dem Verhältnis von Mann und Frau wurden einfach nicht auf Tagesordnung gesetzt.
Kein Wunder, wenn Gott nun handelt und uns so buchstäblich abstraft.
Denn eines ist ja klar: das Leugnen der Sünde, wie sie uns jeden Sonntag klerikal in der Heiligen Messe vorgelebt wird durch das Verschweigen des S-Wortes, ist der Deckmantel für die Sünden der Revolution von 1968.
Denn welcher Katholik lebt heute keusch und rein im Sinne katholischen Sexualmoral?
[1] Codex des Kanonischen Rechtes – IntraText (vatican.va)
[2] Röm 10,17.
[3] Schuldbekenntnis – Wikipedia
[4] Traurige Premiere: Ostern im Vatikan ohne Gläubige – Vatican News
[5] Traurige Premiere: Ostern im Vatikan ohne Gläubige – Vatican News
