Wunderbare Predigt über die Liebe an die Jugendlichen in der Slowakei
Berlin, 30.September 2021
Zuletzt hielt er eine bärenstarke Predigt zum außerordentlichen Segen ‚Urbi et orbi‘ zu Beginn der großen Covid-19-Pandemie Ende März 2020.[1]
Das war vor anderthalb Jahren. Als eifriger Leser der so wichtigen Wochenzeitung ‚L’Osservatore Romano‘[2] waren die Original-Predigten und Ansprachen des Heiligen Vaters immer echte Leckerbissen, bis Ende März 2020.
Die echten Worte von Franziskus beginnen häufig mit einer Frage nach dem Motto ‚Wollt ihr meine eigenen Worte hören? Dann lasse ich die vorbereitete Ansprache meines klerikalen Apparates nachher verteilen.‘ Nun ja, der Heilige Vater ist ein echter Teamplayer. Er kann es besser sagen als ich, denn er sagt es so lieblich und süß wie es nur ein guter Hirte kann.
Und so durften die Unbeschuhten Karmelitinnen am 7.September 2019 auf Madagaskar einer Sternstunde beiwohnen: „Man wird euch das, was ich vorbereitet habe, schriftlich geben, damit ihr es lesen und in Ruhe meditieren könnt. Jetzt möchte ich euch etwas aus dem Herzen sagen.“[3]
Manchmal kann man seine wunderbar zu Herzen gehenden Worte sogar auf VaticanNews nachlesen, so auch diese Ansprache.[4]
Meistens allerdings sind seine Worte grausam zusammengestückelt. Das muss man auch ein bisschen verstehen: wenn der Vatikanische Apparat die päpstlichen Reden vorbereitet, dann wohl zeitgleich in allen Hauptsprachen in Übersetzungen, denn wir sind Weltkirche.
Da ist die echt Franziskanische Spontanität etwas anstrengend. Und deshalb lohnt so ein Abonnement des ‚L’Osservatore Romano‘ durchaus, denn dort wird ein bisschen mehr Original-Franziskus gebracht als auf VaticanNews.
Der Heilige Vater spricht von der Liebe zu den Jugendlichen der Slowakei am 14.September 2021 (wahrscheinlich ist der September im Leben des argentinischen Papstes der eigentliche Predigtmonat des Jahres).
Mit freundlicher Genehmigung erlaubt mir der ‚L’Osservatore Romano‘ einige Original-Worte zu bringen – vielen Dank![5]
Für die wahre Liebe braucht es Heldenmut. Taktvoll beginnt er zart bei den Original-Worten der Jugendlichen:
„Ich möchte einen Satz von euch aufgreifen:
»Wir haben begonnen, dieses Geschenk mit
ganz neuen Augen zu sehen.« Wir brauchen in
der Tat, wie ihr gesagt habt, neue Augen, Augen,
die sich nicht vom Schein täuschen lassen. Liebe
Freunde, lasst uns die Liebe nicht banalisieren,
denn die Liebe ist nicht nur ein Gefühl und eine
Empfindung, und wenn doch, dann ist das nur
der Anfang. Bei der Liebe geht es nicht darum, alles
sofort zu haben, sie folgt nicht einer »Einweg-
Logik«. Liebe ist Treue, Geschenk, Verantwortung.
Die wahre Originalität heute, die wahre Revolution,
besteht darin, sich gegen die Kultur des
Provisorischen aufzulehnen, über den Instinkt
und den Augenblick hinauszugehen, das Leben
lang und mit der ganzen eigenen Person zu lieben.
Wir sind nicht hier, um uns irgendwie
durchzuschlagen, wir sind hier, um aus unserem
Leben ein Abenteuer zu machen. Ihr alle habt gewiss
bedeutende Geschichten im Kopf, die ihr in
Romanen gelesen, in unvergesslichen Filmen gesehen
oder in bewegenden Erzählungen gehört
habt. Wenn man darüber nachdenkt, gibt es in
großen Geschichten immer zwei Komponenten:
eine ist die Liebe, die andere das Abenteuer, der
Heldenmut. Diese beiden Komponenten gehören
immer zusammen. Damit das Leben großartig
wird, braucht es beides: Liebe und Heldenmut.
Schauen wir auf Jesus, schauen wir auf den Gekreuzigten,
da finden wir beides: grenzenlose
Liebe und den Mut, sein Leben ganz und gar –
und nicht nur teilweise – hinzugeben.“
Unser Heiliger Vater verschweigt nichts. Das Wunderbare ist: es sind offensichtlich seine ureigensten Worte, keine geliehenen. Und vor allen Dingen keine so genannten theologischen Fachausdrücke.
Worte, die zu Herzen gehen. Könnten alle Priester so predigen, wir wären im Paradies.
Und weiter:
„Wenn ihr also von der Liebe träumt, glaubt
nicht an Spezialeffekte, sondern daran, dass jeder
von euch ganz speziell, etwas Besonderes ist, jeder
von euch. Jeder Mensch ist ein Geschenk und
jeder kann sein Leben, das eigene Leben, zu einem
Geschenk machen. Die Anderen, die Gesellschaft,
die Armen warten auf euch. Träumt
von einer Schönheit, die über das Äußere, über
das Make-up und über Modetrends hinausgeht.
Träumt und habt keine Angst, eine Familie zu
gründen, Kinder zu bekommen und zu erziehen,
und im Leben alles mit einem anderen Menschen
zu teilen, ohne dass ihr euch für eure
Schwächen schämen müsstet, denn es gibt diesen
anderen Menschen, der deine Unvollkommenheiten
annimmt und liebt, der dich liebt, so
wie du bist. Das ist Liebe: den anderen lieben wie
er ist – und das ist schön!“
Und:
„Die großen Träume erschöpfen sich
nicht etwa in leistungsstarken Autos, modischer
Kleidung oder einem extravaganten Urlaub. Hört
nicht auf diejenigen, die euch von Träumen erzählen
und euch stattdessen Illusionen verkaufen.
Das eine ist der Traum, das Träumen, und
etwas anderes ist es, Illusionen zu haben. Diejenigen,
die Illusionen verkaufen, dabei aber von
Träumen sprechen, sind Manipulatoren des
Glücks. Wir wurden für eine größere Freude geschaffen.
Jeder von uns ist einzigartig und auf der
Welt, um sich in seiner Einzigartigkeit geliebt zu
erfahren und die Anderen zu lieben, so, wie es
kein anderer an seiner Stelle tun kann. Man lebt
nicht, um auf der Reservebank zu sitzen und den
Ersatzmann für jemand anderen zu spielen. Nein,
jeder Mensch ist in den Augen Gottes einzigartig.
Lasst euch nicht »vereinheitlichen«; wir sind
keine Serienprodukte, wir sind einzigartig, wir
sind frei, und wir sind auf der Welt, um eine Liebesgeschichte
mit Gott zu leben, um mit Kühnheit
starke Entscheidungen zu treffen, um das
wunderbare Risiko der Liebe zu wagen.“
Wir sollen also nicht auf der Reservebank sitzen? Ja, weil wir Originale Gottes sind – da wird niemand ausgetauscht: das kann jeder verstehen, denn es ist einfach, aber nicht simpel. Es ist einfach gut, Franziskus eben.
Und was rät dieser Mann Gottes den Jugendlichen? Geht zu euren Eltern und vor allen Dingen Großeltern. Er redet den jungen Menschen nicht nach dem Munde, nein, er fordert sie. Bei jungen Leuten sind Eltern, gar Oma und Opa, sicher nicht modern und in. Er sieht tiefer und mahnt eindringlich:
„Ich möchte euch einen
weiteren Rat geben.
Damit die Liebe Früchte
trägt, dürft ihr die Wurzeln
nicht vergessen.
Und was sind eure Wurzeln?
Eure Eltern und vor allem eure Großeltern.
Ja, die Großeltern. Sie haben euch den Boden bereitet.
Gießt diese Wurzeln, geht zu euren Großeltern,
das wird euch guttun. Stellt ihnen Fragen,
nehmt euch Zeit und hört euch an, was sie zu erzählen
haben. Die Menschen heute laufen Gefahr,
entwurzelt aufzuwachsen, weil wir zur Eile
neigen und alles schnell erledigen wollen. Was
wir im Internet sehen, können wir
sofort zu uns nach Hause holen; ein
Klick und Menschen und Dinge erscheinen
auf dem Bildschirm. Und
dann passiert es, dass diese uns vertrauter
werden als die Personen, denen
wir unser Leben verdanken.
Voll von virtuellen Botschaften riskieren
wir, unsere realen Wurzeln
zu verlieren. Sich aus dem Leben
auszukoppeln und in einem Vakuum
herumzufantasieren ist nicht
gut für uns, es ist eine Versuchung
des Bösen. Gott möchte, dass wir
fest auf dem Boden stehen, in Verbindung mit
dem Leben, niemals verschlossen, sondern immer
offen für alle! Verwurzelt und offen. Habt ihr
verstanden? Verwurzelt und offen.
Ja, das stimmt, aber – so werdet ihr mir sagen
– die Welt denkt anders. Es wird viel von
Liebe gesprochen, aber in Wirklichkeit gilt ein
anderes Prinzip: Jeder muss an sich selbst denken.
Liebe junge Menschen, lasst euch davon
nicht beeinflussen, von dem, was falsch ist, von
dem Bösen, das um sich greift. Lasst euch nicht
von der Traurigkeit, von der resignierten Mutlosigkeit
derer gefangennehmen, die sagen, dass
sich nie etwas ändern wird. Wenn man das
glaubt, erkrankt man an Pessimismus. Habt ihr
schon mal das Gesicht eines Jugendlichen, eines
pessimistischen jungen Menschen gesehen?
Habt ihr gesehen, was für ein Gesicht die machen?
Ein verbittertes Gesicht, ein Gesicht voller
Bitterkeit.“
Es geht um die Zukunft der Jugendlichen, deren Vergewisserung nur mit der Familie möglich ist: Familien bauen geht nur in Verbindung mit der eigenen Familie, in die wir hinein geboren wurden.
Und er zielt auf die Lebenswelt der Jugendlichen: Internet, Internet, Internet.
Er sagt nicht: das Internet ist böse. Er sagt, was wichtiger ist, als die digitale Welt: die wirkliche analoge Welt! Anbiederung klingt anders.
Und was schlägt der alte Mann von 85 Jahren vor? Die Beichte!
„Und was können wir tun, wenn wir niedergeschlagen
sind – und wir alle sind in gewissen
Lebenssituationen ein bisschen niedergeschlagen,
wir alle kennen diese Erfahrung – also, was
können wir da tun? Es gibt ein sicheres Mittel,
um wieder aufzustehen, nämlich das, was du
uns empfohlen hast, Petra: die Beichte. Habt ihr
Petra zugehört? [»Ja!«] Das Heilmittel der Beichte.
Du hast mich gefragt: »Wie kann ein junger
Mensch die Hindernisse auf dem Weg zur Barmherzigkeit
Gottes überwinden?« Auch hier ist die
Blickrichtung entscheidend, dass man auf das
blickt, was zählt. Wenn ich euch frage: »Woran
denkt ihr, wenn ihr zur Beichte geht?« – sagt es
nicht laut – dann bin ich mir der Antwort fast sicher:
»An die Sünden«. Aber – so frage ich euch,
antwortet – sind die Sünden wirklich das Zentrale
an der Beichte? [»Nein!«] Ich höre nichts…
[»Nein!«] Gut! Möchte Gott, dass du an dich und
deine Sünden denkst, wenn du zu ihm kommst,
oder will er, dass du an ihn denkst? Was will
Gott? Dass zu dich ihm zuwendest, oder deinen
Sünden? Was will er? Antwortet. [»Ihm!«] Lauter,
ich höre nichts… [»Ihm!«] Was ist hier zentral
– die Sünden oder der Vater, der alle Sünden
vergibt? Der Vater. Man geht nicht zur Beichte
wie Skrupulanten, die sich demütigen müssen,
sondern als Kind, das sich in die Arme des Vaters
wirft. Und der Vater richtet uns in jeder Situation
auf, er vergibt uns jede Sünde. Hört gut
zu: Gott vergibt immer! Habt ihr verstanden?
Gott vergibt immer!
Ich gebe euch einen kleinen Ratschlag:
Nehmt euch nach jeder Beichte noch einige Augenblicke
Zeit, um euch die Vergebung bewusst
zu machen, die ihr empfangen habt. Bewahrt
euch diesen Frieden im Herzen, diese Freiheit,
die ihr in euch spürt. Nicht die Sünden, die nicht
mehr da sind, sondern die Vergebung, die Gott
dir geschenkt hat, die Liebkosung Gottes, des Vaters.
Behaltet das und lasst euch das nicht wegnehmen.
Und wenn ihr das nächste Mal zur
Beichte geht, denkt wieder daran: Ich empfange
jetzt wieder diese Umarmung, die mir so gutgetan
hat. Ich gehe nicht zu einem Richter, um
Rechnungen zu begleichen, ich gehe zu Jesus,
der mich liebt und mich heilt. Da kommt mir gerade
ein Ratschlag an die Priester in den Sinn: Ich
möchte den Priestern sagen, sie sollen sich als
Stellvertreter Gottes, des Vaters, fühlen, der immer
vergibt und umarmt und annimmt. Räumen
wir Gott in der Beichte den ersten Platz ein.
Wenn Gott der Protagonist ist, wird alles schön
und die Beichte wird zum Sakrament der Freude.“
Au warte: Beichte -wer will da schon hin? Der Heilige Vater will da hin, und wir sollten ihm folgen!
Und zum guten Schluss? Das Kreuz tragen, es umarmen:
„Und zum Schluss: Peter und Lenka,
ihr habt in eurem Leben die Erfahrung
des Kreuzes gemacht. Vielen Dank für
euer Zeugnis. Ihr habt gefragt, wie
man »junge Menschen ermutigen
kann, so dass sie keine Angst haben,
das Kreuz anzunehmen und zu umarmen
«. Umarmen ist ein schönes Verb.
Die Umarmung hilft, Angst zu überwinden.
Wenn wir umarmt werden,
gewinnen wir das Vertrauen in uns
selbst und auch in das Leben zurück.
Lassen wir uns also von Jesus umarmen.
Denn wenn wir Jesus umarmen,
fassen wir wieder Hoffnung. Das
Kreuz kann man nicht alleine annehmen;
der Schmerz rettet niemanden.
Es ist die Liebe, die den Schmerz verwandelt.
Deshalb muss man sein
Kreuz zusammen mit Jesus annehmen,
niemals allein! Wenn man sich
auf Jesus einlässt, lebt die Freude wieder
auf. Und die Freude Jesu verwandelt
sich im Schmerz in Frieden. Liebe
junge Menschen, ich wünsche euch
diese Freude, die stärker ist als alles andere.“
Nun, es nicht ganz der Schluss, das Beste kommt noch. Es ist der glaubwürdige Wunsch unseres Papstes nach unserem Gebet für ihn, denn ohne uns schafft er es nicht weiterhin seinen guten Weg zu gehen:
„Ich danke euch, dass ihr
mir zugehört habt, und ich bitte euch
zum Schluss um noch etwas: Vergesst
nicht, für mich zu beten. Dakujem!
[Danke!]“
[1] Wortlaut: Papstpredigt beim Gebet in der Pandemie – Vatican News
[2] Hier kann man abonnieren: Abonnementsauswahl – L’Osservatore Romano (osservatore-romano.de)
[3] OR 37 (2019),
[4] papa-francesco_20190907_omelia-madagascar-oramedia.pdf (vatican.va)
[5] Ein Auszug findet sich hier: Apostolische Reise nach Budapest und in die Slowakei 2021 – L’Osservatore Romano (osservatore-romano.de)
