Papst Franziskus und Fratelli tutti

Ist der Heilige Vater ein verkappter Kommunist?

Berlin, 23.Oktober 2021

Meine Lieblingszeitung FAZ fragte beim Erscheinen der Enzyklika Fratelli tutti am 3.Oktober 2020: „Aus der Kirche austreten?“[1]

Der katholische Internetportal katholisches.info, das den Piusbrüdern nahesteht, spricht ein Stoßgebet aus: „Gott schütze uns vor dem päpstlichen Kommunismus“[2].

Dem stehen die Originalworte des Heiligen Vaters Franziskus gegenüber, der sich mehrfach für den Kapitalismus ausgesprochen hat und den ‚Rat für den inklusiven Kapitalismus‘ unterstützt.[3]

Dieser Rat wird zum Beispiel von dem deutschen Versicherungskonzern Allianz SE namentlich mit seinem Vorstandsvorsitzenden gefördert.

Papst Franziskus spricht an die Mitglieder eben dieses Rats in einer Audienz am 11.November 2019, also ein Jahr vor dem Erscheinen von Fratelli tutti: „Euer Rat ist eines der Ergebnisse des ‚Forums‘ 2016. Ihr habt euch der Herausforderung gestellt, die Vision des ‚Forums‘ zu verwirklichen und Wege zu finden, den Kapitalismus zu einem inklusiveren Mittel für das ganzheitliche Wohl des Menschen zu machen.“[4]

Ausdrücklich ermuntert der Heilige Vater die versammelten Kapitalisten und bittet sie als Geschwister um ihr Gebet: „Ein inklusiver Kapitalismus, der niemanden zurücklässt, der keinen unserer Brüder und Schwestern ausgrenzt, ist ein edles Bestreben, das eurer besten Bemühungen würdig ist. Ich danke euch für diese Begegnung, und ich begleite euch mit meinem Gebet. Auf euch alle, auf eure Familien und auf eure Kollegen rufe ich den Segen Gottes, Quell der Weisheit, der Stärke und des Friedens, herab. Und ich bitte euch, für mich zu beten. Danke.“[5]

Gut, wenn das schon mal der Wortwahl nach geklärt ist: Papst Franziskus ist also kein verkappter Kommunist, sondern ein Anhänger eines reformfähigen Kapitalismus, denn es gibt ja noch den exklusiven Kapitalismus, den Gegensatz.

Wo können wir nun die Schwierigkeit sehen, wenn FAZ und Piusbrüder übereinstimmen – wenn nicht in krasser Ignoranz?

Meine Lieblingszeitung ist doch nicht doof – und die Piusbrüder auch nicht, oder?

  1. Die Schöpfung gehört Gott allein

Für alle Gottgläubigen, also auch Juden und Moslems, ist die Besitzfrage klar: derjenige, der alles erschuf, dem Einen gehört alles.

Im Paradies gab es kein Privateigentum. Und Gott, der Herr, verstieß Adam und Eva zu Recht, weil sie sich im Sündenfall eben nicht an Seine Regeln hielten und an Seinem Obst, einem Apfel, ein Eigentumsdelikt also, vergriffen.

Die Erde als Gottes Schöpfung gehört allen Geschöpfen, zunächst allen Menschen. Privateigentum hat da keinen Platz.

Das Zweite Vatikanische Konzil stellt dies in seiner wunderbaren Konstitution Gaudium et spes in seinem 69.Kapitel, Abschnitt 1, deutlich heraus: „Gott hat die Erde mit allem, was sie enthält, zum Nutzen aller Menschen und Völker bestimmt; darum müssen diese geschaffenen Güter in einem billigen Verhältnis allen zustatten kommen; dabei hat die Gerechtigkeit die Führung, Hand in Hand geht mit ihr die Liebe.“[6]

In meinen Augen ist die Beweisführung glasklar: Privateigentum hat von seinem Ursprung her seine Wurzeln im Gemeinsinn. Denn wenn alles, was geschaffen ist, Gott gehört als ius divinum, Gottes Recht, denn ist die Übertragung von Seinem Eigentum als Privatbesitz nur ius civilis, bürgerliches Recht.

Das niederrangige Recht, ius civilis, ist vom höheren Recht, ius divinum, abgeleitet. Ganz einfach.

Hier deutet sich schon an, was dann der Heilige Vater deutlich ausführt: Gottes Recht für das Wohl aller Menschen als Gemeinwohl ist vorrangig, nachrangig muss das Privateigentum sein.

  1. Privateigentum ist nachrangiges Recht

Der Heilige Vater betont, soweit ich es weiß, als Erster die Zweitrangigkeit des Privateigentums ausdrücklich, wenn er in seiner Enzyklika Fratelli tutti im Abschnitt 120 schreibt: „Das Recht auf Privateigentum kann nur als ein sekundäres Naturrecht betrachtet werden, das sich aus dem Prinzip der universalen Bestimmung der geschaffenen Güter ableitet, und dies hat sehr konkrete Konsequenzen, die sich im Funktionieren der Gesellschaft widerspiegeln müssen. Häufig kommt es jedoch vor, dass sekundäre Rechte über die vorrangigen und ursprünglichen Rechte gestellt werden, so dass sie ohne praktische Relevanz bleiben.“[7]

Er folgt darin dem ‚Katechismus der Katholischen Kirche‘ in Paragraf 2403: „Das Recht auf das Privateigentum, das man sich selbst erarbeitet oder von andern geerbt oder geschenkt bekommen hat, hebt die Tatsache nicht auf, daß die Erde ursprünglich der ganzen Menschheit übergeben worden ist. Daß die Güter für alle bestimmt sind, bleibt vorrangig, selbst wenn das Gemeinwohl erfordert, das Recht auf und den Gebrauch von Privateigentum zu achten.“[8]

  1. Eigentum verpflichtet

In unserer so schönen Verfassung, dem Grundgesetz, heißt es in Artikel 14, Absatz 2, in diesem Zusammenhang: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“[9]

Eigennutz und Gemeinwohl müssen sich nicht ausschließen. Über ihren Zusammenhang nachzudenken, ist Pflicht aller Eigentümer: Staat, Kommune und Privatbürger.

Unser Heiliger Vater hat in seiner Enzyklika Fratelli tutti nur einen weiteren Bogen gespannt, indem er die Weltwirtschaft in den Blick nahm.

Dabei leitete ihn die Weisheit des Grundgesetzes, das vom 23.Mai 1949 datiert.[10] Die Katastrophen von Nationalsozialismus, Kommunismus und eines schranklosen Manchester-Raubtier-Kapitalismus in den so genannten Goldenen Zwanziger Jahren in Deutschland, haben die Väter des Grundgesetzes weise gemacht, über den Zusammenhang von Besitz und Gemeinwohl nachzudenken – und ihr Wissen in die Verfassung aufzunehmen.

Wenn nun einige versuchen, Franziskus kommunistischer Ideen zu zeihen, offenbaren sie leider Unkenntnis, nicht nur unserer deutschen Geschichte.

[1] Kapitalismus-Kritik von Papst Franziskus: Kirchenaustritt? (faz.net) (abgerufen am 23.10.2021).

[2] Gott schütze uns vor dem päpstlichen Kommunismus – Katholisches (abgerufen am 23.10.2021).

[3] Der Rat für einen inklusiven Kapitalismus mit dem Vatikan, ein neues Bündnis von globalen Wirtschaftsführern, startet heute (prnewswire.com) (abgerufen am 23.10.2021).

[4] An die Mitglieder des Rates für einen inklusiven Kapitalismus (11. November 2019) | Franziskus (vatican.va) (abgerufen am 23.10.2021).

[5] Ebd.

[6] Gaudium et spes (vatican.va) (abgerufen am 23.10.2021).

[7] Fratelli tutti (3. Oktober 2020) | Franziskus (vatican.va) (abgerufen am 23.10.2021).

[8] Katechismus der Katholischen Kirche – IntraText (vatican.va) (abgerufen am 23.10.2021).

[9] Art 14 GG – Einzelnorm (gesetze-im-internet.de) (abgerufen am 23.10.2021).

[10] Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Wikipedia (abgerufen am 23.10.2021).

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