Eine haarige Sache – es ist nicht einfach, einen Herrenhaarschnitt zu bekommen
Berlin, 6.November 2021 (Nachträge: 13.+19.November 2021 zu Abschnitt 4)
Seit Jahren wird vom Absinken des christlichen Grundwasserspiegels gesprochen. Was das konkret bedeuten kann, will ich anhand des letzten halben Jahres deutlich machen: deutsche Friseusen.
- Fallanzeige: ich brauche einen prüfungsgeeigneten Haarschnitt
Jahrelang habe ich mich selbst frisiert: von Null auf acht Millimeter, je nach Laune also zwischen Glatze und halbwegs zivilisiert.
Mit Maschine geht es kaum anders: alles einheitlich (mein High-and-Tide-Recon-Selbstversuch ist ein bisschen zu anstrengend und eher nicht gelungen, leider).[1]
Nachdem mein netter Arbeitgeber mir die nebenberufliche Ausbildung zum Versicherungsfachmann bewilligt hatte, die eine Abschlussprüfung vor der Industrie- und Handelskammer (IHK), also vor echten Menschen, beinhaltet, war klar: ich brauche einen ordentlichen Haarschnitt. Da ich kurzzeitig als Versicherungsagent gearbeitet habe, weiß ich: die Herren sehen aus wie Superman mit obligatorischem Seitenscheitel, die Damen tragen Hochsteckfrisuren mit Petticoat.
Und so war es dann wirklich: der Seitenscheitel bei rund fünf Zentimeter Gesamtlänge (im Februar noch bei 0,00 mm) rettete meine Prüfung[2] – Ehre sei Gott für das ehrenwerte Frisörgewerbe!
Allein hätte ich es nicht geschafft, echt nicht!
- Erfahrungsbericht A: Schafschur in 10 Minuten für 15 Euro
Ungefähr seit der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland 2004 war keine Dame mehr an meinem Hinterkopf, also siebzehn Jahre lang nicht. Das hatte verschiedene Gründe: zu wenig Geld und Anderes.
Friseurgepflegt zu werden, war bis einschließlich 2004 eine schöne Sache: ein Mann kam bisher nicht an meinen Kopf – ich bin deshalb sogar einmal geflüchtet, weil meine Dame nicht da war.
Nun, Anfang März bekam ich das Okay für die Schnellkurs von nicht einmal vier Monaten. Die Prüfung sollte Anfang Juli sein: bei einer Haarwuchsgeschwindigkeit von einem Zentimeter pro Monat geht es also um eine Verhandlungsmasse von vier bis fünf Zentimetern, da ich bei Normalnull startete.
Übung macht den Meister, dachte ich mir und hatte leider Recht. Erster Versuch: Schafschur in zehn Minuten für 15 Euro, das macht einen Stundenlohn von 90 Euro – nicht schlecht für ein darbendes Gewerbe könnte man meinen.
Ich wollte eigentlich nur:
- Ein bisschen Freundlichkeit
- Die Frage: „Wie hätten Sie es denn gerne?“
- Und Treue: ich wollte eigentlich regelmäßig kommen, ich wollte ja die Prüfung bestehen.
Ich bekam:
- Einen taxierenden Blick in einem gähnend leeren Laden
- Kein Haarwaschen, mit dem ich fest gerechnet habe.
- Keine Beratung
- Schafschurtempo à la Michael Schumacher
- Noch nicht einmal die Frage, ob ich wiederkäme
Meine Analyse:
- Die Frisörin ein Mann will es billig und nur Billigstpreise zahlen
- Sie erwartet männliche Untreue: Frisörtermin als Single-One-Cut-Session
- Sie hat Angst, überhaupt bezahlt zu werden
- Sie berät gar nicht, weil es Männer so und so besser wissen
So stand ich kurzgeschoren da: mir gefiel es, weil die Dame nicht unbegabt war. Und es muss nicht immer Scherengeklapper sein, solange das Ergebnis stimmt. Nur fühlte ich mich wirklich wie ein Schaf – und bin doch ein männlicher Mensch.
- Erfahrungsbericht B: Herrenhaarschnitt für 33 Euro
Etwas ratlos torkelte ich aus dem Laden der Erstfriseuse und war überrascht. So war ich bisher noch nie behandelt worden.
Auf dem Nachhauseweg hielt ich dann die Augen offen und schaute, ob ich einen vertrauenserweckenden Friseursalon finde.
Hier im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf, dem angeblich wohlhabendsten von allen Berliner Bezirken, sollte das gut möglich sein, dachte ich.
Nur sah ich überall gähnende Leere Anfang März 2021, ungefähr zum Ende des Lockdowns. Keine Menschenmassen strömten in die Läden, überall viel Platz.
Ja, und dann fand ich endlich zwei Damen gleich bei mir in derselben Straße: der Preis war fast doppelt so hoch, 28 Euro – immerhin mit Waschen und keine Schafschur in 10 Minuten, sondern eine genaue halbe Stunde, darauf achteten die Damen. Und das, obwohl der Laden gähnend leer war, meistens jedenfalls.
Zwei Wochen nach der Erstfriseuse fühlte ich ein bisschen wie zu alten Zeiten in Abrahams Schoß: das Shampoo duftete wohlig und die erste der beiden Damen sprach sogar mit mir. Die Erstfriseuse beendete ihre Schur mit dem Statement: ich sähe jetzt 15 Jahre jünger aus, was mir natürlich außerordentlich schmeichelte…
Schon beim zweiten Termin wechselten die Damen: angeblich ging es vierzehn Tage später bei der Angestellten nicht – die Chefin selbst wollte ran. Da hatte ich nichts gegen, sie war noch einen guten Tick besser als ihre Angestellte.
So weit so gut, dachte ich mir. Als älterer Mann will ich mich wohl fühlen, weiß um meine Geheimratsecken und das ausgehende Haar. Und bezahle ordentlich Trinkgeld: der Erstfriseuse gab ich nichts, der Angestellten zwei Euro und der Chefin vier, also mehr als zehn Prozent. 32 Euro für einen Männerhaarschnitt mit Maschine ist nicht wenig, dachte ich.
Dann kam der Tag, an dem die Chefin eine Kundin zur gleichen Zeit hatte, die sie warten ließ, während sie sich an mir abarbeitete.
Und dann kam der Tag, wo die Chefin nicht da war. Als ich die Angestellte fragte, bekam ich zur Antwort, ich könne einen neuen Termin machen oder mich von ihr, der Angestellten, bedienen lassen. Ein Grund wurde mir für den Wechsel tatsächlich nicht genannt, kann ja auch Krankheit sein.
Und diese Angestellte war es, die mir den neuen Preis von 33 Euro nannte.
Ich bekam:
- Eine patzige Antwort auf meine Frage, was mit der Chefin sei
- Einen schlechteren Haarschnitt als bei der Chefin
- Eine Preiserhöhung von fünf Euro, also 18%.
- Zweimal ging die Dame nicht an ein klingelndes Telefon
Es spielte für diesen kleinen Salon zweier Damen keine Rolle, dass ich seit Ende März regelmäßig alle zwei, dann alle drei und schließlich alle vier Wochen kam.
Ich war:
- Treu
- Megapünktlich
- Keine Absage
- Immer Trinkgeld
Ich verstehe diese drei Damen der Friseurwelt nicht so richtig, glaube ich.
- Erfahrungsbericht C: Ein guter Haarschnitt für 12 Euro 50
Tja, wieder suchte ich und schaute in diesen und jenen Friseursalon, denn ich hatte ja gelernt:
- Nicht einfach über das Internet Preise vergleichen: vor Ort ist entscheidend.
- Ist der Salon gut gefüllt, klappt es wohl mit der Atmosphäre.
- Ist er gar nicht gefüllt, dann haben die Damen vielleicht technische Begabung, aber keine menschliche.
Am letzten Donnerstag wagte ich rund zwei Wochen nach der letzten Schafschur einen weiteren Versuch – und landete bei einer technisch begabten und menschlich netten Friseurmeisterin: für 12 Euro und 50 Cent. In zehn Minuten. Ich erhöhte um 2 Euro 50 Trinkgeld. Und erwartete die Frage, nach einem weiteren Termin. Die nicht kam. Dem Preis nach zu urteilen, kann ich mir so einen Kurzhaarschnitt zweimal im Monat leisten. Mein zweiter Terminwunsch über die E-Mail-Adresse wurde etwas spät beantwortet, aufgrund typisch weiblicher Technikaffinität (ich landete im Spam-Ordner, den zu sichten Übung benötigt: verstehe ich irgendwo…).
[Nachtrag vom 19.11.2021: Gestern das zweite Mal – ich bin regelrecht begeistert, die Dame kann Messerhaarschnitt, was ganz ganz selten ist und bei Kurzhaarfrisuren gut kommt, super gut kommt – Wahnsinn! Der Friseurladen heißt ‚CS Haarstudio‘, Hindenburgdamm 85b, Berlin-Steglitz.][3]
Gott sei Dank habe ich also doch noch Glück gehabt – und hoffe, dass es dabei bleibt. Nochmal eine Frisörin suchen will ich in den nächsten zwanzig Jahren nicht.
- Konturenhaarschnitte der Bundesligaspieler
Ich bin ein bisschen ratlos: wenn Frisörin D Allüren hat – dann wird es eng für mich. Zu einem türkischen Friseur will ich nicht gehen, weil ich keinen Mann an mir machen lassen will.
Ich mag eindeutig Frauen. Und um der Schönheit willen mache ich da keine Kompromisse: es kommt kein Mann an mich heran, außer ich wäre im Gefängnis, und das bin ich Gott sei Dank nicht.
Die Preise der türkischen Barbiere sind einfach günstig: unschlagbar. So wie früher eine Männerhaarschnitt für einen Appel und ein Ei zu haben war, so geht es dort um zehn Euro aufwärts.
Und was man so von außen sieht: die Herren der Schöpfung rasieren was das Zeug hält und geben sich größte Mühe. Sicher sind sie nicht unbegabter als die Damen, die mich scherten. Sie haben sichtlich Spaß an ihrer Arbeit. Und ihre Läden sind ziemlich voll.
Im letzten Lockdown, als die Bundesliga neu eröffnet war, aber die Friseure nicht, rätselte die Republik darüber, woher die Fußballstars ihre schicken Konturenhaarschnitte hatten. Die Ehefrau war es wohl höchst selten.
Nicht nur die Herren Fußballer, sondern auch vielen Damen schätzen offenbar das gepflegte Aussehen der Stars.
- Deutsche Friseursalons: auf Damen fixiert
Ich fragte mich in diesen letzten Monaten: ist mein Geld nichts wert, weil der Einstiegspreis kleiner ist als bei einer Frau?
Wahrscheinlich ist es genau das, das ökonomische Kalkül. Lange Frauenhaare bringen pro Person mehr Geld.
Und doch erklärt es letztlich den ökonomischen Unverstand der Damen nicht: wenn ein Laden leer ist, dann schadet ein Mann nicht, sondern bringt Geld hinein.
Und wenn die vielen türkischen Niedrigpreisfrisöre haarige Höchstleistungen bieten können und dabei boomen ohne Ende – warum können die Damenfriseure keine Kompromisse eingehen und vom Markt lernen?
Vielleicht ist ein kahlrasierter Männerkopf ästhetisch so unappetitlich, dass die Damen Abstand nehmen von einem Salon, der Männer kurzrasiert.
Ein Blick in die Birkbuschstraße weiter oben Richtung lehrt Anderes: hier ist eine Türkin, die zwei Männer angestellt hat – ihr Laden ist brechend voll. Immer, wenn ich hineinschaue, sehe ich Jung und Alt, Frauen, Männer und Kinder.
Leider habe ich dort Wartezeiten, die ich nicht mag. Ich hoffe, dass es mir gelingt, eine Dame zu finden, die mich nicht wie ein Schaf abrasiert. Mal sehen.
- Und was hat das mit der Nächstenliebe zu tun?
In meinen Augen außerordentlich viel. Die drei genannten Damen haben
- zu stark auf das Auge-um-Auge-Prinzip geschaut: Mann=billig=ökonomischer Ruin
- mit der männlichen Untreue gerechnet, wonach sich preisgünstige Dienstleistungen nicht rentieren, sondern ausgenutzt werden: wahrscheinlich gibt es so etwas wie ein Friseur-Shop-Hopping
- die Kunst der Konturschnitte verachtet als schnelle Schafschur
- das männliche Selbstgefühl, gepflegt zu erscheinen, missachtet
- jede Neugier vermissen lassen.
- sich zum Teil würdelos verhalten.
In meinen Augen verrät dies viel über das Verhältnis der Geschlechter, das ja nicht gering von Treulosigkeiten wie durch Ehescheidungen und Kindestötungen (Abtreibung) geprägt ist. Rein statistisch geht es um ein Viertel bzw. ein Drittel der Gesellschaft.
Ja, vor dreißig Jahren empfanden es viele Frauen als nicht unangenehm, einen Mann zu Hegen und Pflegen: rein kulturell.
Jetzt muss Mann sich davor schützen, nicht als Schaf behandelt zu werden.
Die christliche Nächstenliebe hätte die drei Damen vor Gedankenlosigkeit bewahrt, den Geschäftssinn geschärft – und mehr Geld eingebracht: warum das so ist, lesen Sie im nächsten Blogartikel!
[1] High and tight Recon – Stephanus Berolinensis
[2] Singuläre Gratifikation – Stephanus Berolinensis
[3] CS Haarstudio.de (cs-haarstudio.de) (abgerufen am 19.11.2021)
