Feinde lieben
Berlin, 23.November 2021
Wie wir vom Völkerapostel Paulus wissen, ist die Liebe langmütig und sanft. Und unser Volksmund weiß: Liebe macht erfinderisch!
Der größte Kirchenlehrer der katholischen Kirche stellt fest: „‘Lieben heißt jemandem Gutes wollen‘“[1].
Was so einfach klingt, ist es nicht unbedingt.
- Selbsterkenntnis ermöglicht die Erkenntnis des Nächsten
Dabei ist die Liebe höchstpersönlich. Eine Person muss sich selbst erkennen können, um einer anderen Person gut sein zu wollen.
Denn bevor ich dem Anderen etwas Gutes tun will, muss ich um meinen eigenen Seelenzustand wissen: Bin ich gut?
Und die zweite Frage schließt sich sogleich an: Kann ich meinem Nächsten etwas Gutes tun, weil ich dazu in der Lage bin?
Und die dritte Frage: Ist es mein Nächster überhaupt wert, ihn zu lieben?
- Liebe ist eine Frage der Gerechtigkeit
Zu lieben heißt nicht zwingend, wiederum geliebt zu werden. Andererseits gilt die Überlegung: wenn ich einen anderen liebe, warum sollte er mich nicht auch lieben?
Es ist nur gerecht, wenn ich liebe und wiederum geliebt werde. Liebe ist schön und in sich selbst gut. Es sollte möglich sein, wiederum geliebt zu werden.
Wenn ich etwas Gutes erhalte, warum sollte ich nicht dankbar sein und wiederum lieben?
Im guten Sinne ist die Liebe das, was uns Gott ins Herz gegeben hat: die Schönheit der Schöpfung hegen und pflegen durch Achtsamkeit und Schutz.
Liebe ist vielfältig.
- Hass ist immer ungerecht
Wessen Liebe mit Hass beantwortet wird, wird gleich doppelt gekränkt und ungerecht behandelt.
Zum einen, weil die Liebe zu Recht Dankbarkeit erwartet und zum anderen, weil Hass die denkbar schlimmste Reaktion ist, die in sich selbst niemals in Ordnung sein kann.
Hassen heißt das objektiv Gute des Nächsten in den Schmutz zu ziehen, aus reiner Laune heraus.
- Liebe ist vernünftig, Hass nicht
Dabei ist die Liebe vernünftig, weil sie das Gute des Nächsten nicht nur erkennt, sondern es schützt und sogar aufbaut.
Der Hass dagegen ist unvernünftig, weil er das Gute des Nächsten, und sei es seine Gottes Ebenbildlichkeit, nicht anerkennt, sondern sogar zerstören will.
- Der Schmerz über den Hass ist dreifach
Zum einen tut es weh, wenn unsere Liebe nicht beantwortet wird; das ist ungerecht.
Zum anderen wird unsere Liebe in den Dreck gezogen, also die Wahrheit zur Lüge.
Und zum dritten ist der Hass unvernünftig: er ist aus sich selbst heraus nicht erklärbar.
- Sünde ist das Schwarzes Loch der Bosheit
Tatsächlich habe ich noch nie eine Predigt über Todsünde gehört. Selbst eine Predigt über Sünde, es ging um pausenlosen Handy-Benutzen, war etwas weitschweifig.
Die Todsünde will ganz einfach den Tod des Anderen. Er soll nicht nur am Boden sein, er soll gar nicht sein.
Wie auf einer Wüstenwanderung, wenn der kleinste Fehler schon das Ende ist.
Wenn wir zu wenig Wasser mitnehmen, verdursten wir; unser Feind lebt in einer Oase, würde sich aber lieber die Hände abhacken, als uns zu helfen.
Die menschliche Bosheit ist ein schlimmes Geheimnis, das zu ergründen uns Menschen nicht gegeben ist. Sünde will den Tod des Anderen, letztlich. Und es geht nicht um Fehler oder Umstände oder Schwäche, sondern um den bewussten Willen zu genau dem Handeln, der zum Tod führt.
Dabei ist die Warum-Frage die schlimmste Folter, weil sie rein geistig ist: Cur malum – warum das Böse?
Der Teufel, unser Widersacher, will, dass wir wie im Hamsterrad uns immer neu diese Fragen stellen: „Warum?“, „Warum ich?“ und „Warum jetzt?“
- Drei Arten von Liebe
Theologisch unterschieden werden drei Arten von Liebe, die sicher nicht gleichwertig sind und dennoch die Ebenbildlichkeit des Menschen ausmachen.
- Eros: das Wort Erotik kommt aus diesem Wort und meint die Geschlechtsliebe, also die sinnliche Hingezogenheit von Mann und Frau.[2]
- Philia oder Amor: hier geht es um die Hingezogenheit zu jemandem, mit dem wir eine Freundschaft schließen.[3]
- Agape: hier geht es ausschließlich um die göttliche Liebe.[4]
- Gottes Liebesbeweis: Jesu Foltermord auf Golgatha
Wenn der schönste Mann auf Erden, der Sohn des lebendigen Gottes, schwerster Folter durch Schläge und vierzig weniger einen Geißelhiebe[5] ausgesetzt war, so kehrt sich die Frage nach dem Warum in sein Gegenteil um.
Wenn demjenigen, der von keiner Sünde wusste, ein so brutales Gemetzel bevorstand und ER es durchgehalten hat: „Warum soll ich nicht durchhalten?“
Der Foltermord auf Golgatha wird besonders gut beschrieben in dem gesegneten Buch der wunderbaren deutschen Seligen Anna Katherina Emmerick.[6]
Wer es gelesen hat, weiß genau, warum die Passionsgeschichten praktisch wie sachliche Meldungen von Nachrichtenagenturen sind: Folterberichte sind Grauen erregend.[7]
Vom Foltermord auf Golgatha können wir ganz persönlich wissen: seitdem mir Jesus die Vergebung meiner Sünden schenkte, bin ich ein anderer Mensch. Ich bin frei von Sünden und muss nicht mehr hassen: Halleluja!
- Den Weg Jesu gehen – in Traurigkeit
Jesus selbst hatte durchaus keine Lust, Sein Leben blindlings zu verlieren. ER schätzte die Freuden dieser Weltzeit durchaus.
Deutlich zeigt Jesus seine allergrößte Traurigkeit: „Meine Seele ist zu Tode betrübt.“[8]
Das Opfer Jesu am Kreuz von Golgota ist ein wahres Opfer, kein Spaziergang. Wenn Jesus nicht gefühlt und gewusst hätte, wie wunderbar das irdische Leben ist, hätte ER kein Opfer zu bringen.
Und wenn ER nicht gewusst hätte, wie abgrundtief unsinnig die menschliche Bosheit ist, hätte ER kein vollkommenes Opfer bringen können.
Den Feind zu lieben, heißt also gerade nicht, sich gut dabei zu fühlen, sondern im Gegenteil: das Säurebad widerstreitender Gefühle aus- und durchzuhalten.
Und zu weinen, was das Zeug.
Der Völkerapostel Paulus schreibt in seinem wunderbaren Hebräerbrief: „Er hat in den Tagen seines irdischen Lebens mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört worden aufgrund seiner Gottesfurcht.“[9]
So genanntes ‚Positives Denken‘[10] ist zutiefst unchristlich: wir Christen schauen dem Bösen in das Gesicht, wir demaskieren es in jeder Beichte und wir stellen uns dem Bösen politisch in der Gesellschaft entgegen. Nein, diese Welt ist nicht im positiven Bereich, sondern im Argen. Wir müssen uns dem Abgrund der Bosheit stellen, damit wir nicht hineinfallen.
Natürlich gilt: wer zulange in den Abgrund schaut, in den schaut der Abgrund zurück.[11]
In der Lateinischen Messe, dem Tridentinum, gibt es eine eigene Anrufung um die Gabe der Tränen (gratia lacrimarum).[12]
Zuu weinen, ja, zu heulen, reinigt nicht nur die Augen, sondern die Seele. Tränen sind die Juwelen und Smaragde für Gottes Thron.
Eine meiner Lieblingsheiligen, Elisabeth von Dijon, schreibt: „Lob der Herrlichkeit ist eine schweigende Seele, die wie eine Harfe unter der geheimnisvollen Berührung des Geistes stillhält, damit er ihr seine göttlichen Klänge entlocke. Sie weiß: das Leiden ist eine Saite, die schönere Töne hervorbringt; deshalb sieht sie sie gern auf ihrem Instrument, um inniger das Herz Gottes zu rühmen.“[13]
Wenn wir also unsere Feinde lieben, opfern wir Gott unsere ganze Menschlichkeit. Es ist ein zutiefst heidnisches Missverständnis, wenn in so genannten frommen Andachtsbüchern so getan wird, als sei das Martyrium ein Zuckerschlecken und nur ein schneller Durchgang zum Himmel.[14]
Das Martyrium hat vor Gott keinen Wert, wenn es nicht in Liebe getan wird. Und der Gradmesser der Liebe ist das Leiden: je mehr leiden, umso größer ist der Wert vor Gott.
Meine Lieblingsheilige, Faustina Kowalska, schreibt in ihrem lesenswerten Tagebuch: „Wahre Liebe misst man mit dem Thermometer der Leiden.“[15]
Der Völkerapostel schreibt in seinem wunderbaren Hohelied der Liebe: „wenn ich meinen Leib opferte, um mich zu rühmen, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts.“[16]
Und deshalb müssen wir uns vor dem Opfer prüfen, sonst handeln wir wie Petrus, der großsprecherisch als Tiger zum Sprung ansetzt und als Bettvorleger vor Pilatus landet.
- Den Weg Jesu gehen – im Schweigen
Wie häufig verlieren wir die Kraft für den Kampf, weil wir zu Recht Hilfe von unseren Nächsten erwarten, die häufig ausbleibt.
Die größte weibliche Heilige neben der Allerseligsten Jungfrau Maria ist Schwester Faustina Kowalska. Sie schreibt unendliche Kostbarkeiten in ihrem gut lesbaren ‚Tagebuch‘: „Das Schweigen ist ein Schwert im geistigen Kampf. Schwatzhafte Seelen gelangen nie zur Heiligkeit. Dieses Schwert des Schweigens schneidet alles ab, was sich der Seele anheften will. Wir sind gewohnt, auf Sprache zu reagieren und meinen immer, gleich antworten zu müssen, ohne darauf zu achten, ob es Gottes Wille ist, dass wir reden. Eine schweigsame Seele ist stark; alle Widerwärtigkeiten schaden ihr nicht, wenn sie im Schweigen ausharrt.“[17]
Das ist genau die Aufforderung Jesu an uns im Garten Getsemani: „Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet!“[18]
Wir sind Menschen und müssen Reden. Wandeln wir also unsere Worte zum Gebet an Gott und verlieren wir nicht unnötige Kraft. Der Kreuzweg führt gerade nicht zu äußeren Quellen, sondern zu inneren, die alleine von Gott stammen können.
- Den Weg Jesu gehen – im ringenden Nachfragen
Gottes Schöpfung ist kostbar, und unsere Seele ist noch wertvoller.
Bedenken wir immer: Feindesliebe ist eine Begegnung mit dem Tod, der vom Teufel stammt. Niemand darf ohne guten Grund diese Todeszone des Teufels betreten.
Jesus selbst ringt um die Frage, der wir uns ebenfalls stellen müssen: „Mein Vater, wenn dieser Kelch an mir nicht vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, geschehe dein Wille.“[19]
Unsere Gebetsabsicht muss ein: „Der Wille Gottes muss sich erfüllen, denn der Wille Gottes ist immer gut. Amen.“
- Fazit: Warum Feindesliebe?
Es kann nur drei gute Gründe geben, warum wir unseren Feind lieben sollen.
Erstens: Wenn wir unseren Feind nicht liebten, müssten wir anfangen, den guten Weg der Liebe zu verlassen und säen Zweifel am Weg Gottes mit uns. Das verändert uns. Wir driften ab und gelangen letztlich nicht zu Gott am Ende der Zeit. Feindesliebe ist letztlich vernünftig, nicht weil die Welt im Argen liegt, sondern weil die Liebe in sich rund und gut ist.
Zweitens: Gott trägt uns mit seiner eingegossenen Liebe, der Agape, weil ER uns zuerst geliebt hat. ER verlässt uns nicht, weil Gott die Liebe ist.[20] Feindesliebe ist möglich ohne zu zerbrechen, weil Gott uns trägt.
Drittens: die Welt ist im Argen, nicht nur für uns Christen. Diejenigen, die nicht Glauben, müssen sich der Feindesliebe ebenfalls stellen. Und sie werden ohne Christus hassen müssen, weil sie zerbrechen. Die Unentrinnbarkeit vor dem Bösen ist ein guter Grund, sich auf Gott im Himmel zu freuen und für unsere Feinde zu beten. Wir Christen werden dem Bösen im Himmel entrinnen, die buchstäblich armen Teufel der Heiden nicht.
[1] Summa theologiae1-2, 26,4; zitiert nach dem Katechismus der Katholischen Kirche 1766.
[2] Erotik – Wikipedia (abgerufen am 22.11.2021).
[3] Liebe – Wikipedia (abgerufen am 22.11.2021).
[4] Agape – Wikipedia (abgerufen am 22.11.2021).
[5] Auspeitschung – Wikipedia (abgerufen am 23.11.2021)
[6] „Das bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus.“
[7] Besser nicht lesen, sondern lieber das wunderbare Marienbuch der Seligen: „Das Leben der heiligen Jungfrau Maria“, der schönsten Frau auf Erden.
[8] Mt 26,38b.
[9] Heb 5,7.
[10] Positives Denken – Wikipedia (abgerufen am 22.11.2021).
[11] Profiler – Reise in die Welt des Bösen (deutschlandfunk.de) (abgerufen am 23.11.2021).
[12] Die Gabe der Tränen – Stephanus Berolinensis (abgerufen am 22.11.2021).
[13] Der Himmel im Glauben, Einsiedeln-Freiburg ³2009, 68.
[14] In der so genannten Legenda Aurea, dem meist benutzten Andachtsbuch des Mittelalters, finden sich fiktive Dialoge, die mit dem Christentum nicht vereinbar sind.
[15] Tagebuch der Schwester Maria Faustyna Kowalska, Hauteville/CH, 9.Auflage 2013, 130.
[16] I Kor 13,bc.
[17] Tagebuch der Schwester Maria Faustyna Kowalska, Hauteville/CH 9.Aufl. 2013, 176.
[18] Mt 26,41a.
[19] Mt 26,42b.
[20] Vgl I Joh 4,8b.
