Die Goldene Regel ist kein Gesetz
Berlin, 25.November 2021
Am letzten Sonntag feierten wir den Christkönigssonntag. Wir können uns zu Recht fragen: Wenn Jesus ein König ist, wie lautet dann das Grundgesetz Seines Reiches?
Jesus lehrt uns in seiner wunderbaren Bergpredigt die Goldene Regel: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen!“[1]
- Die Goldene Regel: Eigenliebe
Es scheint ganz klar zu sein: Wie ich behandelt werden will, so soll auch ich meinen Nächsten behandeln: das meint das ‚dass euch die Menschen tun‘
Meine eigene, in sich selbst gute Eigenliebe lehrt mich die Frage zu beantworten, wie ich meinen Nächsten lieben soll.
Es ist meine ureigenste Eigenliebe.
Jesus baut Sein Reich auf mit der einfachsten Regel der Welt: Eigenliebe!
- Eigenliebe ist menschliche Normalität
Um meinen Nächsten zu lieben, muss ich also anfangen, über meine eigenen Bedürfnisse nachzudenken.
Es geht zunächst um meine Würde, die ich respektieren muss. Nur so kann ich die Würde des Nächsten anerkennen.
Eigenartig ist: das Reich Jesu wird so ganz in die Getauften hineingelegt. Das Reich Gottes ist eine Angelegenheit des inneren Menschen, das menschlichen Geistes quasi.
Das Reich Gottes ist so gesehen nicht sichtbar, denn es ist mit äußeren Gebärden nicht ausdrückbar.
Eigenliebe ist genau das, was alle haben: unscheinbar und alltäglich.
- Eigenliebe ist revolutionär anti-staatlich
Wenn jeder Mensch kraft seiner Eigenliebe wissen kann, was sein Nächster benötigt, braucht es letzten Endes keinen Staat mehr.
Jedenfalls keinen Staat, der einem Christen vorschreiben kann, was er tun soll – wenn er sich an die Goldene Regel hält.
Es ist dieser Punkt, den ich festhalten möchte, und der verblüffend ist: Jesus ist der Todfeind des Herodes, weil er im Mikrokosmus der Getauften dem Staat seine Machtgrundlage entzieht.
Denn wenn alle Menschen einander lieben, braucht es den Staat nicht mehr.
- Nach dem Sündenfall: der Staat ist notwendig
Der Völkerapostel Paulus schreibt zu Recht: „Vor den Trägern der Macht hat sich nicht die gute, sondern die böse Tat zu fürchten; willst du also ohne Furcht vor der staatlichen Gewalt leben, dann tue das Gute, sodass du ihre Anerkennung findest!“[2]
Weil wir Christen als Getaufte zwar im Machtbereich Jesu leben und handeln, besteht dennoch die Möglichkeit, das Böse zu tun, also zu sündigen.
Und wenn wir als Christen Gutes tun, brauchen wir den Staat zum Schutz vor allen, die Böses tun und das Gute in den Dreckziehen und ausnutzen.
Hierfür nun brauchen wir den Staat.
Den Staat also brauchen wir Christen durchaus in dieser Weltzeit, die im Argen liegt.
- Warum die Goldene Regel kein Staatsgesetz werden kann
Die Goldene Regel kann niemals ein staatliches Gesetz werden, weil sie den Bösen abverlangen will, Gutes zu tun.
Das Gute, das geschieht, geschieht allerdings nur mit Jesus Christus, der uns in der Taufe mit Seiner Gnade dazu befähigt.
Gutes zu tun, kann nicht erzwungen werden. Es widerspricht der menschlichen Freiheit und vor allen Dingen der Sünde. Die Sünde ist des Teufels und übersteigt damit menschliche Macht. Der Teufel ist stärker als die Menschen, aber schwächer als Jesus.
- Die Goldene Regel: ein kategorischer Imperativ?
Ein kategorischer Imperativ[3] hat im Reich Gottes nichts zu suchen. Denn das Reich Gottes ist hybrid, also flüssig, weil in Bewegung.
Es lebt letztlich von der Begegnung zu meinem Nächsten in der Gegenwart. Begegne ich nicht genau diesem Nächsten, dem ich begegne, muss ich die Goldene Regel anders auslegen, denn jeder Nächste hat ureigenste Bedürfnisse, die ein anderer eben nicht hat.
So gesehen ist das Reich Gottes rein situativ, also von der Lebenslage eines jeden Christen und seines Umfeldes abhängig. Das Reich Gottes ist also ein Schatz „in zerbrechlichen Gefäßen“.[4]
Ein irdischer Machthaber kann also das Reich Gottes in den Christen nur dann zerstören, wenn er die Christen auseinandertreibt und ihnen so die Kraft raubt. Nur kann es dann sein, dass die Christen die neuen Länder, in welche sie vertrieben werden, missionieren. Denn es ist ja Christus, der in den Christen lebt und regiert.
Die Kraft der Getauften aus sich selbst heraus, ist schwach. Christen sind Christusträger, weil sie durch die Taufe zu Christus gehören. Christus ist die Stärke der Getauften.
- An den guten Früchten wird das Reich Gottes sichtbar
Jesus lehrt uns, wie einfach das Reich Gottes erkennbar ist, nämlich in seiner wunderschönen Bergpredigt: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Erntet man etwa von Dornen Trauben oder von Disteln Feigen? Jeder gute Baum bringt gute Früchte hervor, ein schlechter Baum aber schlechte.“[5]
Paulus schreibt viele gute Gedanken dazu in seinem wundervollen Hohen Lied der Liebe: „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.“[6]
Und der gleiche Paulus schreibt im Brief an die Galater: „Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, 23 Sanftmut und Enthaltsamkeit“[7].
Die Liebe ist also das Kennzeichen des Reiches Jesu, der Hass markiert die Trennung.
- Die Goldene Regel gilt grenzenlos
Was letztlich unmittelbar antistaatlich ist: weil die Goldene Regel innerhalb des menschlichen Geistes, seines Gewissens, wirkt, ist sie allem Äußerlichkeiten nahezu vollkommen entzogen.
Das Reich Gottes überschreitet alle Nationen, Kulturen und Sprachen, sprich alle Grenzen äußerer Art.
Das ist natürlich ein bisschen unheimlich, da Christus selbst unsere einzige Kraft ist.
- Wer sein Leben verliert, gewinnt es
So gesehen ist die Machtübernahme Jesu in meinem Leben durch meine Bekehrung kein feindlicher Akt.
Im Gegenteil: mit Jesus komme ich ganz zu mir selbst. Die Liebe zu Gott ist die höchste Gestalt der Eigenliebe.
Jesus Christus spricht: „Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden.“[8]
Diese Forderung an uns ist nicht ein Spezialauftrag, um uns aus dem Leben zu reißen, sondern das Grundgesetz im Reich Gottes.
Anders gesagt: wer vorbehaltlos liebt, lebt mit sich selbst im Einklang – und braucht sich vor der Lebenshingabe im Martyrium nicht zu fürchten.
Wer sich ängstlich vor dem Willen Gottes verschließt, der verliert nicht nur Jesus Christus, sondern letztlich sich selbst, denn er hat die Liebe zum Nächsten nicht mehr.
[1] Mt 7,12a.
[2] Röm 13,3.
[3] Kategorischer Imperativ – Wikipedia (abgerufen am 24.11.2021).
[4] Eine Wendung des heiligen Paulus in II Kor 4,7.
[5] Mt 7,16f.
[6] I Kor 13,4-7; zitiert nach: 1.Korinther 13,4 | Einheitsübersetzung 2016 :: ERF Bibleserver (abgerufen am 24.11.2021).
[7] Gal 5,22.23a.
[8] Mt 16,25.
