Die Verwahrlosung von Berlin-Steglitz
Berlin, 28.November 2021
Die Sonne schien so schön winterlich am heutigen 1.Adents-Nachmittag. Da ging ich einen Spaziergang machen. Einen ganz gewöhnlichen. Meine Lieblingsroute: an ‚Lidl‘ vorbei, entlang des Lichterfelder Stadions, dann den Teltowkanal.
Berlin-Steglitz gehört zu Zehlendorf, dem reichsten Berliner Bezirk.[1] Wir Steglitzer haben es nicht so mit dem Geld. Dafür haben wir ganz viele kleine Parks, Grünanlagen, Teiche und den Teltowkanal.
Und seit ein paar Jahren viele herrenlose Einkaufswagen. Bei meinen Eltern im nicht ganz so wohlhabenden Bezirk Wilmersdorf habe ich solch eine Stahlkarosse noch nie gesehen: niemals, nie und drei Tage nicht.
Im letzten Jahr dachte ich, es seien ungefähr 25-30. Und da ich ein Freund von Beweisen bin, fing ich dieses Jahr 2021 pünktlich am 1.Januar 2021 mit einer Liste an.[2]
Heute sind es am 28.11.2021 um 16 Uhr 30 genau 45 Einkaufswagen, die ich zurückgebracht habe. Es hätten auch 46 sein können: einmal ‚Lidl‘, einmal ‚Aldi‘. Den von ‚Saturn‘ ließ ich links liegen. Ich hatte keine Kraft mehr. Der kommt vielleicht Morgen dran. Morgen ist ja auch noch ein Tag.
- Meine Strecke: zwischen Albrechtstraße, Birkbuschstraße, Hindenburgdamm sowie Schlossstraße
Da ich arm, aber sexy bin, gehe ich zu Fuß oder fahre mit dem Rad. Ein Auto habe ich zerschrottet: das muss reichen.
Ich gehe also nicht regelmäßig Streife, um fremdes Eigentum zurückzubringen, sondern handele nach dem Zufallsprinzip. Meistens erspähe ich ein zukünftiges gutes Werk werktags, um dann am heiligen Sonntag Gott mit meiner guten Tat zu loben.
Ja, schon peinlich: es demütigt ungemein, scheppernd und polternd an den wohlsituierten Bürgern an ihrem Sonntagsspaziergang vorbei zu stolpern. Eine gute Figur sieht anders aus.
Und doch stellt sich mir die Frage: wer täte es, wenn ich es nicht täte?
Es gibt die Broken-Windows-Theorie, der zu Folge die Kriminalität steigt, wenn das soziale Auge nicht wachsam ist.[3]
Wenn ich es also nicht täte, wäre die Kriminalität größer.
- Die längste Strecke: vom Steglitzer Kreisel nach Lichtenrade
Wahrscheinlich hatten Bauarbeiter beim Steglitzer Kreisel vergessen, zwei Einkaufswagen von ‚Norma‘ ihrem Besitzer zurückzubringen.[4]
Also hinein in die S-Bahn Rathaus Steglitz, Kreuz Schöneberg umsteigen, Südkreuz umsteigen und bis Endstation S-Bahnhof Lichtenrade: eine reichliche Stunde hin und eine zurück. Bei schönstem Sonnenschein ist schon Okay.
- Fünf auf einen Streich an einem Tag
Manchmal mogele ich ein bisschen. Unsere schnuckelige kleine Einkaufsstraße ‚Schlossstraße‘ gehört eigentlich nicht zu meinem selbstgewählten Revier. Aber wenn fünf Einkaufswagen bei einander stehen und ‚Hit‘ fünfhundert Meter entfernt liegt, wird die Statistik ein bisschen aufgemotzt.
- No-Name
Zum ersten Mal in all den Jahren hatte ich viele Einkaufswagen, die keinen Namen mehr hatten bzw. deren Markenname absichtsvoll entfernt wurde.
Diese Einkaufswagen bekommen in der Liste ein Fragezeichen: (?).
- Mitwisser
Der Einkaufswagen von ‚Saturn‘, der für besonders große und schwere Produkte gedacht ist, wie z.B. Fernseher, wurde sicher nicht bei Nacht herbeigeschafft.
Vor zwei Tagen war Black Friday: sicher waren die stolzen Besitzer eines 4K-Fernsehers froh, das Riesengerät zu Hause zu haben.
Es muss trocken sein und hell, sonst klappt der Transport nicht. Gegenüber von dem illegalen Parkplatz des herrenlosen Einkaufswagens sind zwei große Spielplätze: wie viele Leute mögen gesehen haben, wie der herrenlose Einkaufswagen illegal abgestellt wurde?
Und wie viele Bürger mögen es Okay finden, wenn fremdes Eigentum im Wert von 100 bis 250 Euro am Straßenrand verkommt?[5]
- Fazit
Der Aufwand, vom Steglitzer Kreisel nach Lichtenrade die zwei Wagen zu ‚Norma‘ zu fahren, war riesig: zwei Stunden in praller Spätsommerhitze. Ansonsten ist es vertretbar, fremdes Eigentum dem Besitzer zurückzubringen.
Die Frage ist nur: wenn es niemanden gibt, der Ordnung schafft, was geschieht dann? Das Ordnungsamt würde wohl der Stadtreinigung Bescheid geben. Und die würde vielleicht den Eigentümer informieren, oder?
Rein rechtlich ist es aber gar nicht so einfach, die verschiedenen Einkaufswagentypen z.B. von ‚Aldi‘ und ‚Lidl‘ genau in den Markt zu bringen, zu dem sie gehören. Da gibt es Unterschiede, das sage ich aus jahrelanger Erfahrung.
Wer, wenn nicht wir Christen, ist für unseren Nächsten zuständig: Sünde, Schuld, Schwäche und eben Müll?
Niemand will den Müll haben. Und die Gottlosen, die ihn verursachen, auch nicht.
Das ist ein Problem, finde ich.


[1] Reichtum in Berlin: Hier wohnen Berlins Millionäre (berliner-zeitung.de) (abgerufen am 28.11.2021).
[2] Mein Heimholungsservice von Einkaufswagen… – Stephanus Berolinensis (abgerufen am 28.11.2021).
[3] Broken-Windows-Theorie – Wikipedia (abgerufen am 28.11.2021).
[4] NORMA Filiale – Google Maps (abgerufen am 28.11.2021).
[5] Klau von Einkaufswagen: Supermärkte haben Problem | Kassel (hna.de) (abgerufen am 28.11.2021).
