Europa wird in Kiew verteidigt
Berlin, 16.März 2022
Ihre Exzellenzen, sehr geehrte Botschafter,
als ich gestern von dem Heldenmut Ihrer Ministerpräsidenten vernahm, direkt in das Kriegsgebiet, an den mörderischen Soldaten Putins vorbei, in das Herz der Ukraine, Kiew, zu fahren, konnte ich es kaum glauben. Und schon gar nicht konnte ich heute Morgen begreifen, dass diese drei Staatsmänner den Präsidenten der Ukraine wirklich getroffen haben.
Diese Drei hatten vorher miteinander gesprochen und schon auf dem EU-Gipfel vom Freitag überlegt, wie sie der Ukraine helfen konnten. Sie haben vernünftig abgewogen und haben Einigkeit hergestellt. Sie haben also das getan, was die Grundlage jeder Demokratie ist: Meinungen und Auffassungen erörtern, um dann zum Handeln zu gelangen. Und genau das ist es ja, was das ukrainische Volk im Augenblick tut: Wie ist die Lage? Und was können wir tun? Ob Flugverbotszonen und MIG-21 die rechte Antwort sind, mag sich vielleicht später noch zeigen. Die Ministerpräsidenten haben das Mögliche getan – so wie die heldenhaften Ukrainer Molotowcocktails auf Panzer werfen, um das Fahrwerk zu beschädigen.
Es entspricht dem grundlegenden Recht der Völker, über ihr eigenes Schicksal zu bestimmen. Diese Recht ist ein Menschenrecht, das unveräußerlich ist. Niemand kann ein freies Volk dazu zwingen, sein Recht auf Selbstbestimmung aufzugeben. Ja, im eigentlichen Sinne besteht ein Volk nicht mehr, das sich selbst aufgibt. Diese Drei haben verstanden, dass wir als Europäer uns selbst aufgeben, wenn wir es zulassen, wie ein brutaler Diktator Grenzen neu zieht und wunderschöne Städte in Schutt und Asche legt. Ja, diese Drei haben das verstanden, was uns die ukrainischen Bauern vorleben: ‚Schwerter zu Pflugscharen‘ heißt es in der Bibel und so ziehen sie Kriegsgerät hinter ihren Traktoren her – um später der Feldarbeit nachgehen zu können. Wem gehört die Ukraine? Den Ukrainern! Und wem gehört Europa? Den Europäern!
Freiheit ist ein Zustand, der nur ohne Zwang bestehen kann. Zwang und Freiheit widersprechen sich. So ist leider der traurige Umstand in der Welt, dass wir alle, ob wir wollen oder nicht, um unsere Freiheit kämpfen müssen. Die Feinde unserer Freiheit müssen besiegt werden. Anders geht es nicht. Wer den gerechten Ausgleich anstrebt, darf sein Recht mit Waffen verteidigen. Dabei sind eben nicht die Waffen das Entscheidende, sondern die Bürger, die sie ergreifen, um die grundlegenden Bürgerrechte zu verteidigen. Der Heldenmut, einen Personenzug zu besteigen, um damit in ein schwer zerstörtes Kriegsgebiet zu reisen, steht demjenigen in nichts nach, in zerbombten Städten Hunger und Krankheit ausgeliefert zu sein, nur um eben diese Heimat bis zum Letzten zu verteidigen.
Mein Vaterland gehört dem Alten Europa an: von Ihren vier Völkern müssen wir wieder lernen, was ‚Einigkeit und Recht und Freiheit‘ wirklich bedeuten!
Was für ein großes Glück von solchen beispielgebenden Staatsmännern zu wissen: Gott segne Sie!
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Stephan Gröne
