Papst Franziskus: Nähe zu Gott, dem Bischof und dem Volk Gottes
Berlin, 19.März 2022
Bei seiner Audienz für die Teilnehmer am Symposium ‚Auf dem Weg zu einer grundlegenden Theologie des Priestertums‘ hält der Heilige Vater eine Ansprache am 17.Februar 2022, die wirklich zu Herzen geht.[1]
Seine Rede hat vier Teile: Nähe zu Gott, zum Bischof, zu den anderen Priestern und zum Volks Gottes: „Gottes Stil ist Nähe, eine besondere Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit. Diese drei Worte bestimmen das Leben eines Priesters und auch das eines Christen, denn sie entsprechen genau dem Stil Gottes: Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit.“
- Nähe zu Gott
Der Heilige Vater ermahnt zur Pflege unseres Gebetslebens: „Viele Krisen im Leben eines Priesters haben ihren Ursprung gerade in einem unzureichenden Gebetsleben, in einem Mangel an Intimität mit dem Herrn, in einer Reduzierung des geistlichen Lebens auf bloß äußerliche religiöse Praxis. Das will auch bei der Ausbildung unterschieden werden: Geistliches Leben ist das eine, religiöse Praxis das andere. ‚Wie steht es um dein geistliches Leben?‘ – ‚Gut, gut. Ich meditiere morgens, ich bete den Rosenkranz, ich bete die ›Schwiegermutter‹ – die Schwiegermutter ist das Brevier – ich bete das Brevier und all das … ich mache alles.‘ Nein, das ist religiöse Praxis. Aber wie steht es um dein geistliches Leben? Ich erinnere mich an wichtige Momente in meinem Leben, wo die Nähe zum Herrn entscheidend dazu beitrug, dass ich mich auf den Beinen halten konnte, in dunklen Zeiten. Ohne die Intimität des Gebets, des geistlichen Lebens, der konkreten Nähe zu Gott durch das Hören des Wortes, die Feier der Eucharistie, die Stille der Anbetung, das Sich-Anvertrauen an Maria, die weise Begleitung durch einen Seelenführer, das Sakrament der Versöhnung, ohne diese konkreten Arten der Nähe ist ein Priester sozusagen nur ein müder Arbeiter, der nicht in den Genuss der Wohltaten für die Freunde des Herrn kommt. In der anderen Diözese habe ich die Priester gerne gefragt: ‚Und erzähl mir‘ – sie erzählten mir von ihren Tätigkeiten – ‚erzähl mir, wie gehst du ins Bett?‘ Und sie haben das nicht verstanden. ‚Ja, ja, wie gehst du denn abends ins Bett?‘ – ‚Ich komme müde nach Hause, esse einen Happen und gehe ins Bett, und vor dem Bett läuft der Fernseher…‘ – ‚Ah, gut! Und schaust du nicht kurz beim Herrn vorbei, um ihm wenigstens gute Nacht zu sagen?‘ Das ist das Problem. Mangel an Nähe. Es ist normal, müde von der Arbeit zu sein und sich auszuruhen und fernzusehen, das ist legitim, aber ohne den Herrn, ohne diese Nähe. Er hatte den Rosenkranz gebetet, er hatte das Brevier gebetet, aber ohne Vertrautheit mit dem Herrn. Er hatte nicht das Bedürfnis, dem Herrn zu sagen: ‚Ciao, bis morgen, vielen Dank!‘ Es sind kleine Gesten, die die Haltung einer priesterlichen Seele offenbaren.“
Nähe zu Gott gerade in der Wüstenerfahrung: „Es bedeutet, nicht wegzulaufen, wenn eben das Gebet uns in die Wüste führt. Der Weg durch die Wüste ist der Weg, der zur Vertrautheit mit Gott führt, allerdings unter der Bedingung, dass wir nicht weglaufen, dass wir keine Wege finden, dieser Begegnung zu entkommen. In der Wüste »will ich ihm zu Herzen reden«, sagt der Herr über sein Volk durch den Propheten Hosea (vgl. 2,16). Das ist eine Frage, die sich der Priester stellen muss: ob er in der Lage ist, sich in die Wüste führen zu lassen. Die Seelenführer, die die Priester begleiten, müssen verstehen, müssen ihnen helfen und ihnen diese Frage stellen: Bist du fähig, dich in die Wüste zu begeben? Oder gehst du direkt in die Oase des Fernsehens oder sonst wohin?
Die Nähe zu Gott ermöglicht es dem Priester, mit dem Schmerz in unserem Herzen in Kontakt zu treten, der, wenn er angenommen wird, uns so weit entwaffnet, dass eine Begegnung möglich wird. Das Gebet, das wie ein Feuer das priesterliche Leben beseelt, ist der Schrei eines zerbrochenen und zerschlagenen Herzens, das – so sagt uns das Wort Gottes – der Herr nicht verschmäht (vgl. Ps 51,19). ‚Die aufschrien hat der Herr erhört, er hat sie all ihren Nöten entrissen. Nahe ist der Herr den zerbrochenen Herzen, und dem zerschlagenen Geist bringt er Hilfe‘ (Ps 34,18-19).
Ein Priester braucht ein Herz, das genügend Weite besitzt, um dem Schmerz der ihm anvertrauten Menschen Raum zu geben und gleichzeitig als Wächter die Morgenröte der Gnade Gottes anzukündigen, die sich gerade in diesem Schmerz zeigt. In der Gegenwart des Herrn das eigene Elend zu umarmen, anzunehmen und ihm darzubringen, wird gewiss die beste Schule sein, um nach und nach all dem Elend und dem Schmerz, denen er in seinem Dienst täglich begegnen wird, immer mehr Raum zu geben, bis er dem Herzen Christi gleicht. Und das bereitet den Priester auch auf eine andere Nähe vor: die zum Volk Gottes. In seiner Nähe zu Gott verstärkt der Priester die Nähe zu seinem Volk; und umgekehrt lebt er in der Nähe zu seinem Volk auch die Nähe zu seinem Herrn. Und diese Nähe zu Gott – das fällt mir auf – ist die erste Aufgabe der Bischöfe, denn als die Apostel die Diakone ‚erfinden‘, da erklärt Petrus ihre Funktion und sagt: ‚Und uns – den Bischöfen – obliegt das Gebet und die Verkündigung des Wortes‘ (vgl. Apg 6,4). Mit anderen Worten: Die erste Aufgabe des Bischofs ist das Gebet; und auch der Priester hat diese Aufgabe: zu beten.“
- Nähe zum Bischof
Franziskus spricht: „Diese zweite Nähe wurde lange Zeit nur einseitig wahrgenommen. Als Kirche haben wir allzu oft, auch heute noch, den Gehorsam nicht dem Evangelium entsprechend interpretiert. Der Gehorsam ist keine disziplinäre Beifügung, sondern das stärkste Wesensmerkmal der Bande, die uns als Gemeinschaft vereinen. Gehorchen, in diesem Fall dem Bischof, bedeutet zu lernen, zuzuhören und sich daran zu erinnern, dass niemand den Anspruch erheben kann, den Willen Gottes zu erkennen, und dass dieser nur durch Unterscheidung verstanden werden kann. Gehorsam ist also das Hören auf den Willen Gottes, der nur in einer festen Beziehung erkannt werden kann. Eine solche Haltung des Zuhörens ermöglicht es, die Idee zu entwickeln, dass niemand das Prinzip und Fundament des Lebens ist, sondern dass jeder notwendigerweise mit den anderen in Beziehung stehen muss. Diese Logik der Nähe – in diesem Fall zum Bischof, aber das gilt auch für die anderen Arten der Nähe – ermöglicht es, aller Versuchung zu widerstehen, sich zu verschließen, sich selbst zu rechtfertigen und ein Leben ‚als Junggeselle‘, oder gar als ‚eingefleischter Junggeselle‘ zu führen. Wenn Priester sich verschließen … dann enden sie als ‚eingefleischte Junggesellen‘ mit allen Junggesellen-Manien und das ist nicht schön. Diese Nähe lädt im Gegenteil dazu ein, sich an andere Instanzen zu wenden, um den Weg zu finden, der zur Wahrheit und zum Leben führt.“
Und: „Es ist kein Zufall, dass das Böse, um die Fruchtbarkeit des kirchlichen Handelns zu zerstören, versucht, die Bande, die uns zusammenhalten, zu untergraben. Es gilt, die Bindung des Priesters an die Teilkirche, das Institut, dem er angehört, und an den Bischof zu verteidigen, und dies macht das priesterliche Leben verlässlich. Die Bindungen bewahren. Der Gehorsam ist die grundlegende Entscheidung, diejenigen anzunehmen, die als konkretes Zeichen des universalen Heilssakraments, das die Kirche ist, unsere Vorgesetzten sind. Gehorsam, der auch Konfrontation, Zuhören und in manchen Fällen auch Spannung bedeuten kann, ohne dass es jedoch zum Bruch kommt. Dies erfordert von den Priestern, für die Bischöfe zu beten und ihre Meinung respektvoll, mutig und aufrichtig zu äußern. Das verlangt auch von den Bischöfen Demut, die Fähigkeit zuzuhören, selbstkritisch zu sein und sich helfen zu lassen. Wenn wir diese Verbindung bewahren, werden wir auf unseren Weg sicher vorankommen.“
- Die Nähe der Priester untereinander
Der Heilige Vater: „Wie der Gehorsam, so kann auch die Brüderlichkeit nicht als eine von außen auferlegte moralische Verpflichtung verstanden werden. Brüderlichkeit bedeutet, sich bewusst dafür zu entscheiden, mit anderen und nicht in Einsamkeit den Weg der Heiligkeit zu gehen. Heilig mit anderen. Ein afrikanisches Sprichwort, das ihr gut kennt, sagt: ‚Wenn du schnell gehen willst, geh allein; wenn du weit gehen willst, geh mit anderen.‘ Manchmal hat man den Eindruck, dass die Kirche langsam ist – und das stimmt auch –, aber mir gefällt der Gedanke, dass es sich dabei um die Langsamkeit derer handelt, die sich entschieden haben, in brüderlicher Gemeinschaft zu gehen. Auch die Geringsten zu begleiten, aber immer auf geschwisterliche Weise.
Die Merkmale der Geschwisterlichkeit sind die der Liebe. Der heilige Paulus hat uns im Ersten Brief an die Korinther (Kapitel 13) eine klare »Landkarte« der Liebe hinterlassen und in gewissem Sinne aufgezeigt, worauf die Brüderlichkeit abzielen sollte. Erstens geht es darum, Geduld zu erlernen, das heißt die Fähigkeit, sich für andere verantwortlich zu fühlen, ihre Lasten zu tragen, in gewissem Sinne mit ihnen zu leiden. Das Gegenteil von Geduld ist Gleichgültigkeit, die Distanz, die wir zu anderen aufbauen, um ihr Leben nicht an uns heranzulassen.“
Der Neid als ein großes Hemmnis: „Der andere ist unfähig, sich über das Gute zu freuen, das uns im Leben widerfährt, oder auch ich bin unfähig dazu, wenn ich das Gute im Leben der anderen sehe. Diese Unfähigkeit, sich über das Wohlergehen anderer, der anderen, zu freuen, ist der Neid, der unsere Lebenswelten so sehr heimsucht und für die Pädagogik der Liebe ein Kampf ist, nicht einfach eine Sünde, die man beichten muss. Die Sünde ist das Letzte, es ist die Einstellung, die neidisch ist. Der Neid ist in priesterlichen Gemeinschaften sehr präsent. Und das Wort Gottes sagt uns, dass dies eine zerstörerische Haltung ist: Durch den Neid des Teufels ist die Sünde in die Welt gekommen (vgl. Weish 2,24). Der Neid ist die Tür, die Tür zur Zerstörung. Und da müssen wir ganz klar sagen, in unseren Priestern gibt es Neid. Nicht jeder ist neidisch, nein, aber die Versuchung des Neides ist groß. Wir sollten vorsichtig sein. Und aus Neid kommt das Gerede.“
- Nähe zu den Menschen
Der Heilige Vater: „‘In Evangelii gaudium habe ich darauf hingewiesen, dass wir, um Verkünder des Evangeliums zu sein, auch ein geistliches Wohlgefallen daran finden müssen, »nahe am Leben der Menschen zu sein, bis zu dem Punkt, dass man entdeckt, dass dies eine Quelle höherer Freude ist. Die Mission ist eine Leidenschaft für Jesus, zugleich aber eine Leidenschaft für sein Volk. Wenn wir vor dem gekreuzigten Jesus verweilen, erkennen wir all seine Liebe, die uns Würde verleiht und uns trägt; wenn wir aber nicht blind sind, beginnen wir zugleich wahrzunehmen, dass dieser Blick Jesu sich weitet und sich voller Liebe und innerer Glut auf sein ganzes gläubiges Volk richtet. So entdecken wir wieder neu, dass er uns als Werkzeug nehmen will, um seinem geliebten Volk immer näher zu kommen. Jesus möchte sich der Priester bedienen, um dem heiligen und gläubigen Volk Gottes näher zu kommen. Er nimmt uns aus der Mitte des Volkes und sendet uns zum Volk, sodass unsere Identität nicht ohne diese Zugehörigkeit verstanden werden kann‘ (ebd., 268). Die priesterliche Identität ist ohne Zugehörigkeit zum heiligen und gläubigen Volk Gottes nicht denkbar.“
Und: „‘Zuweilen verspüren wir die Versuchung, Christen zu sein, die einen sicheren Abstand zu den Wundmalen des Herrn halten. Jesus aber will, dass wir mit dem menschlichen Elend in Berührung kommen, dass wir mit dem leidenden Leib der anderen in Berührung kommen. Er hofft, dass wir darauf verzichten, unsere persönlichen oder gemeinschaftlichen Zuflüchte zu suchen, die uns erlauben, gegenüber dem Kern des menschlichen Leids auf Distanz zu bleiben, damit wir dann akzeptieren, mit dem konkreten Leben der anderen ernsthaft in Berührung zu kommen und die Kraft der Zartheit kennen lernen. Wenn wir das tun, wird das Leben für uns wunderbar komplex, und wir machen die tiefe Erfahrung, Volk zu sein, die Erfahrung, zu einem Volk zu gehören‘ (ebd., 270). Und das Volk ist keine logische Kategorie, nein, es ist eine ‚mythische‘ Kategorie; um es zu verstehen, müssen wir uns ihm annähern, wie man sich einer besonderen Kategorie annähert.“
Und: „Es ist entscheidend, sich daran zu erinnern, dass das Volk Gottes darauf hofft, Hirten nach dem Vorbild Jesu zu finden – und nicht Kleriker mit Standesdünkel – denken wir an diese Epoche in Frankreich: da gab es den Pfarrer von Ars, den Kuraten, aber da gab es auch den ‚monsieur l’abbé‘, Kleriker mit Standesdünkel. Auch heute möchten die Menschen Hirten des Volkes und nicht Kleriker mit Standesdünkel oder ‚Sakral-Profis‘; Hirten, die mitfühlen können und Chancen erkennen; mutige Menschen, die fähig sind, bei den Verwundeten stehenzubleiben und ihnen die Hand zu reichen; kontemplative Menschen, die in ihrer Nähe zu den Menschen angesichts der Wunden dieser Welt die Kraft der Auferstehung verkünden.“
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[1] Freude und Hoffnung in der pastoralen Sendung – L’Osservatore Romano (abgerufen am 19.3.2022).
