Credo ut intelligam
Berlin, 23.April 2022
- Liebe ist mehr als Romantik
Das Wort für Liebe hat viele Bedeutungen: von der Zuneigung von Verliebten über die eheliche Erotik bis zur Freundschaft zwischen den Menschen.
Es scheint aufgrund dieser Vieldeutigkeit ungeeignet zu sein, für ernsthafte Erörterungen. Doch das ist weit gefehlt.
- Das Wesen der Liebe
Thomas von Aquin zitiert in seiner Summa theologiae (II, 26, 4) den heidnischen Philosophen Aristoteles, der in seiner Rhetorik feststellt: lieben heißt „sie wollen uns Gutes tun“[1].
Ein anderem „Gutes tun“ zu wollen, ist ein Anspruch, den ein jeder Mensch an den anderen hat und der genau besehen vielgestaltig ist.
Meistens wird die Liebe als reine Romantik gesehen. Philosophisch bedeutet sie mehr, nämlich dem anderen gerecht zu werden.
Dem anderen „Gutes tun“, heißt ihn verstehen zu wollen.
- Halte-Problem
Da alle logischen Systeme notwendig unvollständig sind, wie es uns der Gödelsche Unvollständigkeitssatz[2] lehrt und wir im Gottesbeweis VIII gesehen haben[3], kommt es immer wieder zu unvermeidbaren Missverständnissen.
Zum einen muss der Sender der Zeichen sein Zeichen-System ständig nachbessern, was zu einem unendlichen Fortschritt der Klassenbildung führen muss: progressus in infinitum.
Zum anderen muss der Empfänger der Zeichen das Zeichen-System des Empfängers beständig in Frage stellen. Ja, noch schlimmer: der Empfänger des Zeichen-Systems des Senders muss selbst wiederum zum Sender werden, denn seine Nachfragen geschehen selbst in Zeichen; es geschieht also ein unendlicher Rückgriff auf die Zeichen-Systeme des jeweils anderen: regressus ad infinitum.
Dieses an und für sich mühevolle Unterfangen, unvollständige Zeichen-Systeme verstehen zu wollen, ist in dieser Raumzeit unvermeidlich, denn es ist systemimmanent notwendig.
Und es ist tatsächlich nicht nur mühevoll, sondern systemimmanent unmöglich!
Hier brauchen wir tatsächlich den Geist Gottes, um verstehen zu können, denn ohne Erleuchtung, wie der andere zu verstehen ist, geht es nicht: wir brauchen die barmherzige Liebe Gottes, um aus den Wirrnissen des Lebens hinauszufinden.
- Bewegung
Die Aussagen in logischen Systemen sind nur möglich, wenn ein Zustand (Status) festgestellt werden kann: es geht um Ist-Aussagen.
Aussagen über Gegenstände, die sich verändern, müssen angepasst werden.
Dabei gibt es eben das Grundsatzproblem der Bewegung, bei welcher eine Ist-Aussage grundsätzlich nicht möglich ist.
Das Zenonsche Paradox der Bewegung, das besagt, einfach umschrieben, dass das Bewegte sich nicht bewegt, dort, wo es ist und dort, wo es nicht ist.
Wikipedia fasst zusammen: „Im Pfeil-Paradoxon denkt Zenon von Elea über die Wirklichkeit von Bewegung nach. Zenon sagt, ein fliegender Pfeil nehme in jedem Moment seiner Flugbahn einen bestimmten, exakt umrissenen Ort ein. An einem exakt umrissenen Ort befinde sich der Pfeil in Ruhe, denn an einem Ort könne er sich nicht bewegen.“[4]
Anders gesagt: wir wissen mittels unserer Intuition, was ‚Bewegung‘ ist. Mit Hilfe eines Zeichen-Systems können wir das sichtbare Phänomen der Bewegung gerade nicht ausdrücken. Noch nicht einmal annähernd.
Wir sagen ja gerade eine Nicht-Bewegung aus, wenn wir sagen, etwas sei an einem Ort und etwas sei nicht an einem Ort. Was an einem Ort ist, bewegt sich ja nicht. Und was an keinem Ort ist, ebenfalls nicht.
- Erleuchtung und das Bewegungs-Paradox
Wenn unser Gesprächspartner also meint, etwas bewege sich, drückt aber aus, es bewege sich weder an dem Ort, an dem es ist, noch an dem Ort, an dem es nicht ist, so muss unser eigenes intuitives Wissen, wonach Bewegung vorhanden ist, nämlich in unserer Vernunft, dem anderen aufhelfen.
Wir benötigen hier göttliche Erleuchtung, um den anderen verstehen zu können, gerade dann, wenn wir ihn nicht verstehen, genauer wir brauchen die göttliche Erbarmung Gottes, indem ER sich liebend zu uns herabbeugt.
- Fazit
Die wunderbare Formulierung des heiligen Anselm von Canterbury credo ut intelligam trifft den Kern der philosophischen Probleme: wir brauchen göttliche Erleuchtung, um verstehen zu können.
[1] Aristoteles, Dietzingen 2018 (Reclam UB 19397), 169.
[2] Gödelscher Unvollständigkeitssatz – Wikipedia (abgerufen am 22.4.22).
[3] Gottesbeweis VIII – Stephanus Berolinensis (abgerufen am 22.4.22).
[4] Pfeil-Paradoxon – Wikipedia (abgerufen am 22.4.22).
