Wie man zu einem Karteikarten-Fresser wird
Berlin, 25.Juni 2022
Als ich mit dem Theologiestudium anfing, habe ich drei gewaltige Gebirgsmassive nehmen müssen: Latein, Griechisch und Hebräisch.
Das war vor dreißig Jahren. Damals schaute ich in meiner Stadtbücherei vorbei und las zwei kleine Büchlein, wie man am besten lernt. Das war eine gute Lektüre. Leider habe ich die Titel vergessen, aber die Lektionen sind sicher gut.
Hier nun ein paar durch ein Theologiestudium erhärtete Tipps.
- Motivation I: Warum will ich über genau dieses Thema etwas wissen?
Ein Studium, wie das an einer Universität, oder ein intensiver Kurzlerngang mit wichtiger Abschlussprüfung, z.B. Versicherungsfachmann mit IHK-Prüfung, ist mit viel Geduld und vor allen Dingen Entbehrung verbunden.
Wer Lernen will, geht auf eine Reise: mein Theologiestudium absolvierte ich in Rekordzeit, nämlich innerhalb der BAföG-Regelförderung, immerhin in 7 Jahren. Das ist viel Zeit.
Gleich am Anfang war ich mit meinem Latein-Lehrer nicht zufrieden – und ich entschied mich, den Lehrer zu wechseln. Um keinen Zeitverlust zu haben, fing ich Griechisch an und lernte nebenher Latein. Das machte sonst niemand, denn das ist der nackte Wahnsinn.
Ohne ein genau formuliertes Ziel geht es nicht, sonst erleidet man Schiffbruch oder stürzt im Gebirgsmassiv ab.
- Motivation II: Was will ich mit dem Universitätsabschluss anfangen?
Das klingt unwichtig, ist es doch eigentlich klar, dass ein Akademischer Grad, wie bei mir das Diplom, Türen automatisch öffnet. Aber das ist mitnichten der Fall.
Der Arbeitsmarkt kann sich wandeln; es besteht die Gefahr, leer auszugehen.
So war es bei mir: also, die Fühler auszustrecken und die Semesterferien für das Nachdenken zu nutzen, ist nicht egal.
Weil ich zu wenig, über meine Zukunft und mögliche Teilziele nachdachte, ging ich praktisch leer aus und muss bis heute als Ungelernter sachfremd arbeiten.
Teilziele vor und während eines Studiums zu formulieren und die Augen entsprechend aufzuhalten, ist nicht egal.
- Lernen, wie man lernt: Welcher Lerntyp bin ich?
Der Grundwortschatz Latein betrug 3.000 Vokabeln oder waren es nur 2.000? Eine ähnliche Summe an Griechisch-Vokabeln gilt es zu lernen.
Ich habe ganz klar ein fotografisches Gedächtnis. Das heißt ich lerne, wenn ich Karteikarten selbst mit meiner eigenen Sauklaue verziere, echt.
3.000 Karteikarten wollen erst geschnitten und dann mit Tintenfüller beschrieben werden: für Latein. Und dann das Gleiche nochmals für Griechisch.
Die Ehrlichkeit zu sich selbst und die harten Entscheidungen, was geht und was nicht, gehören dazu.
Als ich katholisch wurde, wollte ich meine schöne Lutherbibel, mit all den schönen Überschriften nicht mehr nutzen. Mit der katholischen Einheitsübersetzung ist praktisch mein ganzes Bibelwissen futsch, denn mein fotografisches Gedächtnis kommt mit der katholischen Bleiwüste nicht zu recht.
- Immer das Schwerste zuerst
Die allerwichtigste Regel, neben vielen anderen, ist: wenn ich gleich morgens ganz frisch gestärkt mich an das herantraue, wovor ich mich am Tag vorher gefürchtet habe, habe ich den ersten Sieg des Tages errungen – ganz unabhängig vom Ergebnis.
Jeder, der viel und intensiv lernt: Niederlagen müssen sein! Die größte Niederlage aber ist es, feige zu sein.
Die Lernpsychologen sagen nun, und das ist ganz leicht nachvollziehbar: wer gleich am Anfang des Tages den inneren Schweinehund nicht überwindet, erleidet nicht nur eine schwere Niederlage, sondern wird sich bei all den vielen kleineren Kämpfen ebenfalls schwertun.
Das ist ganz einfach zu verstehen: wer die schwere Aufgabe vermeidet, muss sie ja dennoch tun – irgendwann in der Zukunft.
Und diese Verdrängungsleistung, bei der der innere Schweinehund gewinnt, kostet Kraft – natürlich umso mehr, je länger wir die unangenehme Aufgabe verdrängen.
- Dicke Bretter bohren: die Mutter des Lernens ist die Wiederholung
Viele Studenten halten sich für Genies. Ich bin keines. Pauken ist etwas, das selten wirklich Freude bereitet, aber dennoch einen Input gibt, der anders kaum möglich ist.
Ich hatte wirklich in der Vorbereitung für das Examen eine Stoppuhr neben mich gelegt, um zu sehen, wie viele Karteikarten ich veratmen kann.
Und siehe da: nach zwei oder drei Monaten hatte ich den Eindruck, dass die Lernkurve exponentiell wächst. Ganz eigenartig.
Nicht umsonst sagen die Lateiner: Die Wiederholung ist die Mutter des Lernens – Repetitio Mater studiorum.
Wichtig also ist das Ergebnis: Blut und Schweiß und Tränen kostete es mich – wer es anders schafft, meinetwegen.
- Ein guter Zeitplan: Ausreden nicht möglich
Zugegeben waren meine äußeren Lebensverhältnisse praktisch ideal: ein armer und alleinstehender Student.
Wer kein Geld ausgeben kann, spart Zeit. Und wer keine Freundin hat, ebenfalls. Nun ja, ob beides wirklich sinnvoll ist, muss hier nicht diskutiert werden.
Mit Zeit umgehen können, heißt eben auch: äußere Reize rechtzeitig erkennen und, wenn möglich, aus dem Weg schaffen.
Begabte und reiche Schriftsteller mieten sich im Sommer ein Haus auf einer einsamen Insel, am besten ohne Telefon und Fernsehen.
Und so ist es mit der Zeit: um keine Ausreden zu haben, warum etwas noch wichtiger ist als das Studium, ist es sinnvoll, wichtigen Bedürfnissen entgegenzukommen, um sie zu steuern.
- Lernintensive Zeit: in Blöcken lernen
Wer lernt, macht Entdeckungen und erleidet viele Niederlagen. Damit alles insgesamt rund ist, ist es notwendig, alles in viel Zeit zu packen.
Zeitblöcke von minimal vier Stunden ohne Unterbrechung sind sinnvoll. Nichts ist ineffektiver, als zu glauben, in kleinen Schrittchen einen Berg zu besteigen.
Wer wirklich unangenehme Probleme lösen will, muss sich bewusst Zeit lassen. Rom wurde nicht an einem Tag gebaut, heißt es nicht umsonst. Und gut Ding will Weile haben.
Unsinnig ist es sicher, auf Kniffe zu vertrauen, die andere einem nahelegen, z.B. das Lernen von Vokabeln in der Nacht über Kopfhörer. Genies können das, aber lieber auf das vertrauen, was man selbst kann und kontrollieren kann.
Unsere Zeit ist kostbar und zu kontrollieren. Wer glaubt, kurz vor dem Examen würde die Erkenntnis von selbst kommen, irrt gewaltig.
- Pausen sind wertvoll: Geistige Arbeit ist schwerer als körperliche
Zugegeben: vor dem Examen habe ich es etwas übertrieben. Normalerweise lernt man ein halbes Jahr, um sich vorzubereiten. Ich wollte ein ganzes Jahr.
Klar ist: wer ein Jahr lang nur Karteikarten frisst, stirbt nicht daran, aber steigert das Ergebnis nicht. Ein halbes Jahr Examensvorbereitung muss reichen.
Ich hatte das Glück, tatsächlich acht Stunden am Tag Karteikarten fressen zu können. Und da sind zwei Blöcke von je vier Stunden sinnvoll.
Und dann ausreichend Mittagspause: wer ordentlich arbeitet, der darf ordentlich ausruhen.
Geistige Arbeit sieht auf den ersten Blick einfacher aus als körperliche: sie ist sozusagen immer hygienisch keimfrei, weil die Gedanken keinen Schmutz machen.
Aber niemand sieht unsere Gedanken: erst in der Prüfung wissen wir in der Regel, ob wir gut gearbeitet haben. Das macht anfällig für Zweifel und vielerlei Ablenkungen.
Wenn wir diese notwendigen Lockerungsübungen ganz natürlich einplanen, dann können wir umso befreiter arbeiten.
- Selbstbestrafung: Ruhe bewahren
In der Ruhe liegt die Kraft, heißt es. Sicher ist es gut, wenn wir unsere Lernziele für uns selbst erreichen, wenn wir also bei der täglichen Selbstkontrolle gut sind.
Dennoch gelingt das nicht immer. Und: was alles im Examen geschieht, ob die Prüfer also das Richtige fragen oder wir vielleicht krank antreten müssen, weiß niemand.
Die Prüfung selbst ist also eine große Unbekannte, niemand weiß, ob er es schaffen wird.
Unsere Arbeitskraft also, das ist die Kraft, die uns voranbringt. Und diese Kraft müssen wir schützen.
Ich bin so ein Karteikartenfresser, so ein ekliger, aber noch mehr als acht Stunden fressen, ist nicht sinnvoll.
Das Gleiche gilt vor dem Examen selbst. Nächte durchzumachen und noch alles Mögliche und Unmögliche in uns hineinzustopfen, macht keinen Sinn.
In der Ruhe liegt die Kraft: das muss auch heißen – Gott sollte uns beistehen wollen, denn ohne seine Führung geht es nicht!
- Der Prüfungstag: ein gebügeltes Hemd
Unsere Prüfer sind auch nur Menschen, echt.
Als ich im letzten Jahr um diese Zeit meine Prüfung zum Versicherungsfachmann bestand, war mein Haarschnitt Teil meiner gewissenhaften Vorbereitung: alle anderen Prüflinge traten in Anzug oder Petticoat an, nur ich nicht, aber immerhin mit adrettem Seitenscheitel. Das war wichtig.
Für meine Lateinprüfung hatte ich ein langärmliges Hemd und eine lange Hose an. Für Griechisch trug ich Bermudashorts – das kam gar nicht gut an: gefühlt mindestens eine Note schlechter, wegen Missachtung der Prüfungskommission, echt.!
Lampenfieber habe ich immer mehr als genug, aber nie einen Blackout, sondern meistens eher Leistungssteigerungen.
Aber gerade vor der Prüfung gilt: am Abend vorher abschalten, um am Tag der Prüfung ganz präsent sein zu können.
