Ratzinger und ich V
Berlin, 7.Januar 2023
Als ich evangelischer Christ war, war ich immer ungeheuer neidisch auf die Geschlossenheit der katholischen Lehre.
Als der Weltkatechismus (KKK: Katechismus der Katholischen Kirche) erschien, kaufte ich ihn mir. Das war für mich quasi ein konspirativer Akt des Fremdgehens. Ich war damals ein erklärter Lutheraner, ein theologischer Anhänger dessen, der den Papst als ‚Anti-Christen‘ bezeichnet hatte und sich in unsäglichen Schmähungen erging.
Damals wollte meine Kirche, die Evangelische Kirche in Deutschland, gelebte Todsünde segnen, nämlich die Sexualität zwischen Menschen gleichen Geschlechtes.
Sofort las ich die klaren Paragrafen im Weltkatechismus (2357-2359): wie unendlich wohltuend! Es war mir sonnenklar, dass eine Kirche, die so gut formulieren kann, immer bestehen muss. Mich umwehte der Heilige Geist: warm, sanft und so vernünftig.
Seit meinem Übertritt in die katholische Kirche vor fast 16 Jahren ist mir eines immer mehr klar geworden: die katholischen Dogmen sind Leuchttürme der Schönheit und Liebe Gottes in einer Welt der Sünde und der Verkommenheit; ja, sie sind damit auch Pfeiler im sündigen Fleisch der Welt und schmerzen.
Es gibt einen Namen, den der heilige Papst Johannes Paul II in seiner Apostolischen Konstitution Fidei depositum, dem Vorwort zum Katechismus, nennt: Joseph Ratzinger.
Eine meiner Lieblingsformulierungen lautet: „Die Heimatliebe und der Einsatz für das Vaterland sind Dankespflichten und entsprechen der Ordnung der Liebe.“ (KKK 2239)
Theologisch leitet sich die Heimatliebe aus dem Vierten Gebot der Elternliebe ab und ist die Grundlage für die Liebe zum Vaterland, weil Heimat manchmal ohne eigene Staatlichkeit auskommen muss – unbeschreiblich tief!
Heute gäbe es niemanden mehr, der ein solches Jahrhundertwerk zustande brächte. Ja, Josef Ratzinger konnte das: Atemberaubend! Kein anderer der Heutigen kann es.
Er war ein Gigant, der aus dem Vollen schöpfte. Und dafür wurde er gehasst, wie kaum ein Zweiter.
Ja, die katholische Glaubenslehre rettet Seelen und schenkt inneren Frieden den Völkern der Welt, wenn sie es mit den Zehn Geboten ernstnehmen. Vaterlandsliebe ist eine Frucht des Vierten Gebotes. Punkt.
Wenn wir sein Vermächtnis ehren wollen, müssen wir es schützen lernen, denn nicht selten ist derjenige, der etwas zu vererben hat, sich selbst Feind.
- Papa Emeritus?
Ich habe ein Diplom in ‚Evangelische Theologie‘ und bin also quasi in katholischer Papstgeschichte eine echte Null.
Soviel allerdings weiß ich: auf dem Konzil von Konstanz wurde ein großer Streit beendet, wer denn nun der rechtmäßige Nachfolger auf dem Stuhl Petri sei, denn es ist ein unumstößlicher Glaubenssatz der katholischen Lehre, wonach es nur einen einzigen Papst gibt, nicht zwei oder sogar drei.[1]
Als ich katholisch wurde, war einer der Gründe für mich, dass ich die Schnauze gestrichen voll hatte, mein eigener Papst zu sein, denn das war ich nach Martin Luthers derbem Ausspruch, nach dem alles, „was aus der Taufe gekrochen ist“, „zum Priester, Bischof und Papst geweiht“[2] sei.
Es ist meine zutiefst gefestigte Auffassung, dass die Einheit der katholischen Kirche in ihrer hierarchischen Verfassung liegt. Diese klare Gliederung ist Garant ihrer Stärke und hat sie bisher über zweitausend Jahre vor Spaltungen gerettet.
Mein Firmheiliger Pater Pio ist von der Heiligen Inquisition mehrmals verdächtigt, ja sogar mit Berufsverbot belegt worden: er durfte seine Gnadengabe der Seelenschau nicht ausüben, weil er nicht Beichte hören durfte.
Und was hat dieser Heilige getan? Sofort das Urteil des Vorläufers der heutigen Kongregation der Glaubenslehre angenommen und befolgt.
Nein, es war nicht gut, als Benedikt XVI sich weiterhin Papst nennen lassen, das weiße Papstgewand tragen und sich mit ‚Heiligkeit‘ anreden lassen wollte.
- Exhibitionismus: kein Teil der Sexualmoral?
Für mich persönlich ist es immer befreiend, zur Beichte zu gehen. Vor der Covid-19-Pandemie ging ich tatsächlich praktisch jeden Sonntag.
Seit ungefähr einem Jahr nur noch einmal im Monat, weil es tatsächlich schwierig geworden ist, Beichtväter zu finden, die ihrer Pflicht in den von ihnen angegebenen Zeiten nachkommen.
Dabei ist das Schönste von allen: ich gehe nicht allein zur Beichte, sondern Jesus kommt mit und ist letztlich mein Beichtvater, denn der Priester ist ja bekanntlich ein alter Christus, ein anderer Christus.
Der Wahrheit ins Gesicht zu schauen ist also praktisch so, als würde ich Gott ins Angesicht schauen. Da geht es nicht darum, dass ich Recht habe und mich reinwasche, sondern das Gott mir hilft, in seine Herrlichkeit einzugehen.
Es ist die Frage, in wieweit Josef Ratzinger in Fällen von sexuellem Missbrauch verstrickt war; ich persönlich denke, dass es eher nicht der Fall ist.
Etwas Anderes erscheint mir tatsächlich schwer empörend: die Verharmlosung von sexueller Sünde überhaupt, die im Münchner Gutachten über den sexuellen Missbrauch im Bistum München-Freising in Fall 37 dokumentiert wird – und von den Anwälten von Josef Ratzinger stammt.
Die Anwälte wollten ihn weißer als weißwaschen und verstiegen sich zu der These, dass „‘erst seit dem Jahr 2020 geklärt sei, dass auch exhibitionistische Handlungen unter den Begriff der Sünde fallen können‘“[3].
Einfach ausgedrückt: selbst wenn Josef Ratzinger als Erzbischof von München-Freising kirchenrechtlich falsch gehandelt hat, konnte er moraltheologisch nicht wahrhaft beurteilen, dass Exhibitionismus Sünde ist. Das kann nicht die Wahrheit sein.
Folgen wir also unbedingt nicht seinem Beispiel, sondern gehen wir gerne zu dem Gnadenort, wo Jesus Christus seine Barmherzigkeit schenkt: zum Beichtstuhl.
Wir brauchen in Deutschland keine Weißwäscher, sondern nichts dringender als Umkehr und Buße: lieber Zerknirschung als Persilscheine!
- Thomistische Philosophie: Menschenwerk?
Durch Martin Luther hatte ich mit dessen Heidelberger Thesen zur Philosophie die Vereinbarkeit von Glaube und Vernunft abgelehnt.
Heimlich allerdings war ich immer traurig: soll man so tolle menschliche Erfindungen wie die Logik einfach so wegwerfen?
Seitdem ich den genialen Traktat von der Gottesliebe ‚De diligendo Dei‘ des heiligen Bernhard von Clairvaux gelesen habe, ist mir die Scholastik lieb und teuer. Und erst recht der nicht weniger geniale Anselm von Canterbury.
Die Scholastik mit ihrer Grundlage in der aristotelischen Philosophie muss uns allerdings lieb und teuer sein, denn die heilige katholische Kirche hat im größten Konzil aller Zeiten, dem Konzil von Trient, ihre gesamte Sakramententheologie mit der Begrifflichkeit der Scholastik formuliert. Nicht zuletzt das Zweite Vatikanische Konzil hat gemahnt, den größten aller Scholastiker, Thomas von Aquin, wieder auf den Leuchter zu heben.
Zu Recht, denn die Dogmen des Tridentinums haben die Kirche vor der Reformation letztlich gerettet. So gesehen hat der Heilige Geist gesprochen.
Mit einem Wort: die 24 Thesen zur thomistischen Philosophie, also nicht die gesamte Scholastik, gehören wieder studiert und angewandt. Letztlich ist es der richtige Versuch, das Glaubensgut mittels der Logik auf Ursache und Wirkung zu untersuchen.
Joseph Ratzinger sieht das ganz anders: „Wenn christlicher Glaube absolut ist, eine Setzung Gottes, abendländische Kultur aber ein Menschenwerk und insofern relativ, nämlich grundsätzlich gleichberechtigt mit anderen Menschenwerken, dann erhebt sich die Frage, ob hier nicht ein Missverhältnis vorliegt, ob nichtneben der abendländischen Gestalt des Glaubens ebenso auch andere Gestalten legitim sind“[4].
Und: „In einem Interview am 6. Dezember 1993 in Rom äußerte sich Joseph Ratzinger kritisch zur Neuscholastik nach der Jahrhundertwende: ‚Es gab damals dogmatische Übertreibungen des Thomismus, wie sie sich in dem Versuch, die ‚24 Thesen‘ [Postquam sanctissimus, 1914] lehramtlich auferlegen zu lassen, zugespitzt haben, Phänomene, die im Grunde der inneren Vollziehbarkeit des Thomismus geschadet haben, ihn in den Verdacht einer unphilosophisch auferlegten Philosophie gerückt haben und einen sozusagen dazu zwangen, gegen ihn zu denken.‘“[5]
Das heilige Trienter Konzil hat gesprochen und die thomistisch-philosophischen Formulierungen quasi mit dem ewigen Glaubensgut verschmolzen.
Ein Dogma ist eben nicht Menschenwerk, sondern ein Werk des Heiligen Geistes, der Menschen guten Willens lehramtlich zu Werkzeugen macht.
Befreien wir also bitte unseren katholischen Glauben vom Menschenwerk der Vorstellung, Gott hätte in den genannten 24 Thesen nicht gesprochen. Doch, ER hat, denn die Dogmen und die Verwerfungen des Tridentinums gelten bis heute.
Die Wiederbelebung naturrechtlicher Gedanken und die logische Durchdringung der Zehn Gebote harren ihrer Aufgabe, denn der christliche Glaube will neu unter die Menschen gebracht werden.
Die menschenfeindliche Ideologie des Gender-Mainstreaming muss zerstört werden.
- Fazit
Katholisch zu sein, bedeutet Teil eines Teams zu sein: ‚Team J‘ – ‚J‘ wie Jesus. Die einen wirken in der Öffentlichkeit und machen manchmal Fehler, Fehler, die jeder sehen kann.
Die anderen beten und machen manchmal Fehler, die niemand sieht. Wir sind alle eins und brauchen uns nicht zu schämen, weil wir Fehler machen und manchmal in Sünde fallen – solange, wir Buße tun und wieder aufstehen.
Dem Vermächtnis Joseph Ratzingers treu zu sein, heißt seine Stärken zu leben.
Beten wir für seine Schwächen zur Allerseligsten Jungfrau Maria, damit er das schauen möge, was wir uns alle wünschen! Amen.
[1] Vgl. Konzil von Konstanz – Wikipedia (abgerufen am 7.1.23).
[2] Priestertum aller Gläubigen – Wikipedia (abgerufen am 7.1.23).
[3] Seite 769; https://westpfahl-spilker.de/wp-content/uploads/2022/01/WSW-Gutachten-Erzdioezese-Muenchen-und-Freising-vom-20.-Januar-2022.pdf (abgerufen am 7.1.2023).
[4] Theologia perennis? Über Zeitgemäßheit und Zeitlosigkeit in der Theologie, 235; zitiert nach: JRGS 9/1, 234-250.
[5] Neuscholastik – Wikipedia (abgerufen am 7.1.2023).
