Gedanken zum Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg

Ist die Logik Gottes nachvollziehbar?

Berlin, 30.September 2023

Im Evangelium nach Matthäus erzählt uns Jesus im 20.Kapitel in den Versen 1-16 ein Gleichnis über die Arbeiter im Weinberg.[1]

Ein Hausherr stellt zu verschiedenen Zeiten Tagelöhner ein. Ein Tagelöhner ist einer, der Gelegenheitsarbeiten wahrnimmt, die also zeitlich befristet sind: bei der Ernte von Weintrauben zum Beispiel, bei Ausbesserungsarbeiten an den Schutzmauern rund um den Weinberg, bei Rodungsarbeiten usw. Der Tageslohn liegt bei einem Denar.

Ein Tagelöhner bekommt also den Lohn genau für einen einzigen Tag. Je nachdem, ob die zeitlich befristeten Arbeiten beendet werden kann, geht es um weitere Tage, in denen die gleichen Tagelöhner weiterarbeiten können.

Der Tagelöhner weiß also nie, wie lange er noch Arbeit haben wird. Er weiß grundsätzlich nicht, was Morgen ist.

Im Gleichnis selbst ist die prekäre Lage der Tagelöhner angedeutet, dass der Hausherr sogar mit Einbruch der Dunkelheit noch Arbeitskräfte anstellt. Offenbar ist viel Gelegenheitsarbeit vorhanden.

Rainer Kessler schreibt: „Tagelöhner werden also vorwiegend nur dann beschäftigt, wenn es zusätzliche Arbeiten gibt. Für die Tagelöhner und ihre Familien heißt das, dass ihre Lage äußerst prekär ist. Wird ihre Arbeitskraft nicht gebraucht, bekommen sie keinen Lohn und müssen hungern.“[2]

Die Tagelöhner, die von Anfang an eingestellt wurde, murrten, weil sie es als ungerecht angesehen haben, ebenfalls nur einen einzigen Denar zu bekommen – genauso viel wie diejenigen, die zuletzt eingestellt wurden.

Ist es also ungerecht, wenn diejenigen, die von Anfang eingestellt wurden, den gleichen Lohn empfangen, wie diejenigen, die zuletzt eingestellt wurden?

Margot Käßmann meint Ja. Sie schreibt: „Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg provoziert auch heute noch. Es zeichnet eine Kontrastgesellschaft, in der jede und jeder die Mittel erhält, die sie zum Leben brauchen. Ist das das Reich Gottes?“[3]

Der Hausherr urteilt ganz klar Nein und spricht zu den Murrenden: „Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder ist dein Auge böse, weil ich gut bin?“ (Vers 15).

  1. Überlegungen zum Handeln des Weinbergbesitzers

Der Hausherr handelt gut verständlich, indem er Tagelöhner für Gelegenheitsarbeiten einstellt.

Er braucht offensichtlich alle, die er bekommen kann, sonst würde er nicht zu so unterschiedlichen Zeiten den Marktplatz aufsuchen.

Unklar bleibt, ob er lieber noch mehr und noch viel früher Tagelöhner eingestellt hätte.

Der Tageslohn von einem Denar ist nicht viel. Wir können erahnen, dass Tagelöhner arm sind und buchstäblich von der Hand in den Mund leben.

Den Lohn eines Tages zu erhalten bewahrt sie und ihre Familien vor dem Hungertod, mehr nicht.

Ein Weinbergsbesitzer braucht Tagelöhner für Gelegenheitsarbeiter wie das saisonale Ernten sowie Rodungs- und Ausbesserungsarbeiten.

So gesehen ist er durchaus am Überleben seiner Arbeiter interessiert: nach der Ernte ist vor der Ernte.

Als guter Unternehmer ist er an Hungerlöhnen nicht interessiert, wenn auch ein Denar nicht weit davon entfernt ist.

Zudem ist die Beendigung der Gelegenheitsarbeiten abhängig davon, wie viele Arbeiter er finden kann.

Manchmal ist Zeit im Verzug: wenn ein Loch in der Weinbergsmauer zu stopfen ist, um wilde Tiere von den Weinstöcken fernzuhalten, oder wenn ein Sturm droht.

Grundsätzlich ist festzuhalten: der Weinbergsbesitzer handelt nicht ökonomisch falsch, wenn er allen Tagelöhnern gibt, was er versprochen hat. Er handelt nach dem mündlich ausgehandelten Vertrag, den er nicht bricht.

  1. Überlegungen zur Sichtweise der Tagelöhner

Ein Tagelöhner ist durch einen Vertrag den ganzen Tag gerade nicht gebunden. Er ist frei, Orte aufzusuchen, von denen er meinen kann, dort fände er Arbeit.

Ob er zu einer gegebenen Zeit Arbeit findet oder nicht, ist nahezu zufällig. Umso mehr muss er natürlich kalkulieren, wie er mit seiner Zeit umgeht. Gewiss haben sie meisten männlichen Tagelöhner Familie.

Sich den ganzen Tag von der Familie abzusondern, ohne dort mitzuhelfen, ist sozial nicht tragbar. Es ist also nicht Faulheit, wenn Tagelöhner zu verschiedenen Zeiten sich an verschiedenen Orten für Gelegenheitsarbeiten anbieten.

Es ist also an und für sich nicht logisch, wenn alle Tagelöhner zur gleichen Zeit am gleichen Ort ihre Arbeitskraft anbieten.

Das erklärt auch leicht, warum der Hausherr zu verschiedenen Zeiten nach weiteren Arbeitern Ausschau hält.

Ein Tagelöhner, der frühmorgens eingestellt wurde, muss umso glücklicher über sein Schicksal sein, weil der Tageslohn ihm sicher ist.

Und die Tagelöhner, die bei Einbruch der Dunkelheit nach Arbeit suchen, müssen Angst haben, mit leeren Taschen nach Hause zu kommen. Je später sie am Tag nach Arbeit suchen, umso weniger wahrscheinlich ist es, Arbeit zu finden.

Am Ende des Tages ist allerdings derjenige am glücklichsten, der nur wenig gearbeitet hat und seine Familie dennoch versorgen kann.

  1. Fazit

Sowohl Hausherr als auch Tagelöhner handeln gut nachvollziehbar, jedenfalls bis zur Entlohnung.

Die Murrenden allerdings offenbaren ihre Selbstgerechtigkeit. Sie erkennen nicht an, wie ein Wirtschaftsunternehmen namens Weinberg funktioniert. Und sie möchten letztlich nicht nur die Vertragsbrüchigkeit des Hausherrn, sondern den Hungertod der zuletzt Eingestellten.

Jesus urteilt: „So werden die Letzten Erste sein und die Ersten Letzte.“ (Vers 16) Die zuerst Eingestellten wurden zu Selbstgerechten, die nicht mehr im Sinne des Unternehmers arbeiten wollten.

Sie wollen letztlich die Vertragsbrüchigkeit und den Tod der Nächsten. Ihre Selbstgerechtigkeit bezieht sich auf die engstirnige Sicht auf Ihresgleichen. Würde diese Unlogik Raum greifen, muss dies zur Revolution führen.

Ob der Weinberg in der Hand von einer Handvoll Tagelöhner besser aufgehoben ist, als in der Hand des Hausherrn, muss bezweifelt werden.

Denn die Logik von Vertragsbrüchigkeit führt ins Nichts. Und niemand würde sich von diesen Revoluzzern zur späten Stunde einstellen lassen.

[1] Vgl. Matthäus 20,15 | Einheitsübersetzung 2016 :: ERF Bibleserver (abgerufen am 30.9.23).

[2] Lohn / Lohnarbeit (AT) – Bibelwissenschaft (abgerufen am 30.9.23).

[3] Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (herder.de) (abgerufen am 30.9.23).

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