Romantik, Ordnungsliebe, Gründlichkeit, Naturverbundenheit und Gesundheitsvorsorge
Berlin, 30.März 2024
Ich bin gerne ein Deutscher. Das hat nichts mit Nationalismus zu tun. Ganz im Gegenteil. Denn nur wer sich selbst lieben kann, ist fähig, das Liebenswerte des Anderen anzuerkennen.
So lehrt es uns ja Jesus Christus: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Mt 22,39b)
Die Befähigung zur Selbstliebe, das Erkennen des eigenen Wertes, lässt mich den anderen in seinem Wert erkennen.
Oder wie es unser Nationaldichter Bertolt Brecht in seiner ‚Kinderhymne‘ im vierten Vers schrieb: „Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir’s
Und das Liebste mag’s uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.“[1]
- Unsere Sprache: ein Hang zur romantischen Innerlichkeit
Niemand anders als unser Nationalsatiriker Loriot hat es so treffend auf den Punkt gebracht, die verschiedenen Facetten der Farbe Grau zu schildern.
In seinem Film ‚Ödipussi‘ buchstabierte er diese aus: aschgrau, mausgrau, staubgrau, steingrau.[2]
Nach meinem Eindruck bieten nur wenige Sprachen eine solche Fülle an Kombinationsmöglichkeiten, die eine große Variationsbreite auszudrücken scheinen.
Und doch nicht wirklich präzise sind, da diese Worte natürlich eher Poesie sind als wissenschaftlicher Ausdruck von wirklicher Vielfalt.
Denn wer weiß schon, was der Farbton ‚Mausgrau‘ wirklich besagen soll?
- Die DIN-Norm
Die DIN-Norm, kurz Deutsche Industrie Norm, ist laut Wikipedia ein „erarbeiteter freiwilliger Standard, in dem materielle und immaterielle Gegenstände vereinheitlicht sind.“[3]
Die DIN ist quasi der typisch deutsche Versuch, den deutschen Hang zur romantischen Übertreibung durch eine weitere Übertreibung, die Normierung, einzuhegen.
Dieser Hang zu Reglementierung ist sicher als typisch deutsch anzusehen. In kaum einem anderen Land gibt es so viele brutale historische Beweise für sklavische Unterwerfung als gerade in Deutschland.
Der Kadavergehorsam ist typisch Deutsch und am besten im Roman ‚Der Untertan‘ von Heinrich Mann beschrieben.[4]
Dieser typisch deutsche Hang, eine Übertreibung durch die andere auszugleichen, ist in meinen Augen zutiefst liebenswert.
Allerdings nur dann, wenn wir Deutschen uns selbst auf die Schippe nehmen können.
- Porentiefe Reinheit
Der typisch deutsche Hang, den Dingen auf den Grund zu gehen, ist zugleich einmalig Faustisch.
Unser Nationaldichter Goethe lässt es Faust so sagen: „Daß ich nicht mehr mit sauerm schweiß, Zu sagen brauche, was ich nicht weiß; Daß ich erkenne, was die Welt Im Innersten zusammenhält,Schau’ alle Wirkenskraft und Samen“[5].
Und deswegen gibt es diese Werbung für das Waschmittel ‚Ariel‘, für das mit angeblicher ‚porentiefer Reinheit‘[6] geworben wird: reiner als rein – mehr geht nicht.
Der typisch deutsche Hang zur Gründlichkeit meint wirklich, es ließen sich Probleme fallabschließend vollkommen lösen, am besten mit deutscher Technik, die auf deutsche Erfinder zurückgeht.
Da kann man nur hoffen, dass sich die deutschen Erfinder auf Alltagsprobleme konzentrieren und nicht auf die Weltpolitik, z.B. mit deutschen Wunderwaffen wie die V2[7] den Endsieg bringen, ähem.
- Romantische Naturverbundenheit
Ich war mehr als verblüfft, als ich in Rom war. Und was brachte mich zum Erstaunen? Bäume und zwar riesige, mitten in der Stadt, überall – Pinien.
Bis dato dachte ich als Berliner, dass unsere Linden das Nonplusultra wären, nein, weitgefehlt. Bis zu 30 Meter können Pinien in die Höhe wachsen und 250 Jahre alt werden.[8]
Unsere Berliner Linden werden vielleicht dreißig Jahre alt und 20 Meter hoch, nicht mehr. Sie könnten allerdings bis zu 1000 Jahre alt werden[9], wenn wir Deutsche nicht so viele furchtbare Kriege führen würden.
Ja, das ewige Rom lehrt uns: unsere Naturverbundenheit ist wirklich großartig, wenn sie nicht zur Blut-und-Boden-Ideologie von Braunen und Grünen führt[10], welche wiederum in einen Krieg münden kann.
- Frischluftfanatiker
In keiner anderen Sprache gibt es sicher so ein Wort: ‚Frischluftfanatiker‘. Dabei ist Fanatismus nicht allein ein deutsches Merkmal, sondern ist überall zu finden.
Typisch deutsch ist es allerdings, selbst Alltagsfragen zu solchen des Grundsatzes werden zu lassen.
Ein Deutscher würde lieber erfrieren als ersticken, als wäre die erste Alternative die bessere. ‚Vegane Wurst‘[11], ein Unding an sich, gibt es sicher nur in Deutschland, oder?
- Fazit
Die echten deutschen Stärken von Romantik, Ordnung, Gründlichkeit, Naturliebe und Gesundheitsversorge sind solche und müssen gestärkt werden.
Dennoch müssen wir Deutschen aufpassen, dass das, was an sich gut ist, nicht typisch deutsch zum Fanatismus führt.
[1] Kinderhymne (1950) – Deutsche Lyrik (abgerufen am 30.3.2024).
[2] Vgl. Wir hätten gern das aschgrau (Ödipussi) (youtube.com) (abgerufen am 30.3.2024).
[3] DIN-Norm – Wikipedia (abgerufen am 30.3.2024).
[4] Vgl. Der Untertan – Wikipedia(abgerufen am 30.3.2024).
[5] Seite:Faust I (Goethe) 034.jpg – Wikisource (abgerufen am 30.3.2024).
[6] Vgl. Waschmittel Ariel Regulär 70 WL 3,85 L (reinigungsberater.de) (abgerufen am 30.3.2024).
[7] Vgl. Aggregat 4 – Wikipedia (abgerufen am 30.3.2024).
[8] Vgl. Pinie – Wikipedia (abgerufen am 30.3.2024).
[9] Vgl. Sommerlinde – Wikipedia (abgerufen am 30.3.2024).
[10] Vgl. Blut-und-Boden-Ideologie – Wikipedia (abgerufen am 30.3.2024).
[11] Vgl. Kartoffel-Avocado-Salat | Rügenwalder Mühle (ruegenwalder.de) (abgerufen am 30.3.2024).
