Thomas von Aquin

Mein Lieblingstheologe

Berlin, 6.September 2025

Dieser großartige Denker wusste Glauben und Wissen zu vereinen, wie kein anderer. Er wusste, dass ER alles erschuf, weshalb das Sein selbst aus IHM seinen Ursprung hat, der unerschaffenes Sein ist. Dass Gott selbst unerschaffenes Sein sein muss, wussten die griechischen Philosophen wie Aristoteles auch, denn Gott ist Erster Beweger, das Erschaffene ist von IHM bewegt.

Was Thomas von Aquin allerdings tat, ist die Logik des menschlichen Denkens selbst, also das griechische Erbe, auf das christliche Lehrgebäude anzuwenden und zu durchdenken: wo endet das Denken und wo muss der Glaube beginnen, weil es uns der vernünftigen Begründung für Glaubensaussagen ermangelt.

Dabei geht es um die Logik selbst, die Herzmitte des menschlichen Denkens. Wir Katholiken sind mit gutem Recht die letztlich einzigen legitimen Erben der griechischen Philosophie, weil wir unser Denken, geradezu klassisch, von allem Streit und jeder Leidenschaft (sine ira et studio) fernhalten, uns von der Sünde reinigen und – einfach denken!

Und dieses Denken ist selbst gerade nicht dogmatisch gesetzt, sondern führt zur Anbetung und damit zur Gotteslehre!

Denn unser menschliches Sein, ja, das mit den Sinnen erkennbare Sein selbst, führt unmittelbar zu Gott. Unsere Grenzen zu erkennen, will DEN umgreifen, DER unbegrenzt sein muss.

Es ist höchst eigentümlich, dass das großartige Zweite Vatikanische Konzil hierin, leider nicht nur hierin, vielfach unbeachtet geblieben ist, ganz im Gegenteil zu seinen angeblichen Verteidigern.

Denn das Zweite Vatikanische Konzil stellt den Doctor angelicus, den engelgleichen Lehrer, auf den Leuchter, indem es ihn seinen angehenden Priestern im ‚Dekret über die priesterliche Ausbildung‘ empfiehlt: „danach sollen die Alumnen lernen, um die Heilsmysterien vollständig, soweit es geschehen kann, zu erhellen, diese mit Hilfe der Spekulation, mit dem hl. Thomas als Lehrer, tiefer zu durchdringen und ihren Zusammenhang zu durchschauen“(Optatam totius, 16,3; zitiert nach: Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils, hg. v. P. Hünermann, Freiburg/Breisgau 2012, 325).

In der ‚Erklärung über die christliche Erziehung‘ heißt es ebenfalls bedeutsam: „In gleicher Weise begleitet die Kirche die Schulen höherer Ordnung, insbesondere die Universitäten und Fakultäten, mit eifriger Sorge […], wobei sie den Spuren der Kirchenlehrer, insbesondere des Hl. Thomas von Aquin, folgen sollen.“(Gravissimum educationis, 10,1, 149)

Umso mehr ist es mir eine große Freude, wenn ich hier die Auslegung meines Lieblingslehrers über meine Lieblingsgeschichte im Evangelium, die Versuchung Christi bei Matthäus, mit freundlicher Genehmigung des Sarto-Verlages veröffentlichen darf. Auszug aus Catena aurea Band 1

Im Sarto-Verlag ist dieses Meisterwerk der christlichen Auslegungskunst in zwei schön gebundenen Teilbänden erschienen und kann für 168 Euro erworben werden: https://www.sarto.de/catena-aurea

Es geht um Matthäus im vierten Kapitel, die Verse 1-11:


1. Sodann wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu
werden.
2. Und als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, da hungerte es ihn.
Nachdem der Herr von Johannes im Wasser getauft war1, wurde er vom Geist in
die Wüste geführt, um mit dem Feuer der Versuchung getauft zu werden. Darum
heißt es: Sodann wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt. Sodann nämlich, als der
Vater vom Himmel herabsprach: Dieser ist mein geliebter Sohn. – Wenn du also nach
der Taufe eine größere Versuchung zu bestehen hast2, gerate nicht in Angst; denn da
zu erhieltest du die Waffen, nicht damit du ruhen, sondern kämpfen sollst. Darum
aber hält Gott die Versuchung von dir nicht ab; zuerst nämlich, damit du lernest, dass
du um vieles stärker geworden seiest; sodann, dass du dich über die Größe der Gaben
nicht erhebest; drittens, damit der Teufel durch die Erfahrung erkenne, dass du dich
vollkommen von ihm getrennt habest; viertens, damit du dadurch stärker werdest;
fünftens, damit du das Zeichen des anvertrauten Schatzes erlangest. Denn der Teufel
kommt nicht, dich zu versuchen, wenn er dich nicht zu einer größeren Ehre erhoben
sähe. – Denn an den Heiligen wüten am meisten die Versuchungen des Teufels3, weil
er sie am meisten zu besiegen wünscht.
Einige pflegen zu zweifeln4, von welchem Geist Jesus in die Wüste geführt wurde,
weil es nachher heißt: Der Teufel nahm ihn auf die Heilige Stadt. Aber in der Tat und
ohne jede Frage ist als wahr anzunehmen, dass er vom Hl. Geist geführt wurde, dass
ihn dahin sein Geist führte, wo ihn der böse Geist zur Versuchung finden sollte. War
um ließ er sich selbst versuchen?5 Damit er in den Versuchungen der Mittler wäre,
nicht nur durch Hilfe, sondern auch durch das Beispiel. – Er wurde aber vom
Hl. Geist6, nicht als dem Gebot eines Höheren unterworfen, geführt; denn nicht nur
der heißt geführt, der von irgendeiner Macht geführt wird, sondern auch jener, der
durch eine vernünftige Ermahnung bewegt wird; so heißt es von Andreas (Jo 1): Er
fand seinen Bruder Simon und führte ihn zu Jesus. – Er wird aber nicht wider Willen
oder gefangen geführt7, sondern mit dem Willen zu kämpfen. – Denn der Teufel geht
zu den Menschen8, um sie zu versuchen. Weil aber der Teufel gegen Christus nicht ge
hen konnte, darum ging Christus gegen den Teufel. Darum heißt es: Um vom Teufel
1 Chrysostomus.
2 Chrysost. in hom. 13. in Matth.
3 Hilarius can. 3. in Matth.
4 Gregor. in hom. 13. sup. Evang.
5 August. in 4. de Trinit. c. 13.
6 Chrysostomus.
7 Hieronymus.
8 Chrysostomus.
111
Matthäus 4
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versucht zu werden. – Aber man muss bemerken1, dass die Versuchung eine dreifache
ist: durch Einflüsterung, durch Wohlgefallen und Einwilligung. Wenn wir versucht
werden, fallen wir gewöhnlich ins Wohlgefallen oder die Einwilligung, weil wir, von der
Sünde des Fleisches geboren, in uns selbst auch den Keim haben, worin wir die Wider
sprüche erdulden. Gott aber, der im Leib der Jungfrau Mensch wurde und ohne Sünde
in die Welt kam, erduldete in sich keinen Widerspruch. Er konnte also durch die Ein
flüsterung versucht werden, aber die Einwilligung in die Sünde war bei ihm unmöglich,
und darum geschah die ganze teuflische Versuchung bei ihm außen, nicht im Inneren.
Dann aber kommt der Teufel vorzüglich zur Versuchung2, wenn er Abgesonderte
sieht. Darum versuchte er auch im Anfang die Frau, da er sie ohne Mann fand (Gn 3).
Daher erhält der Teufel dadurch eine Veranlassung zur Versuchung, dass Christus in
die Wüste ging. – Diese Wüste ist zwischen Jerusalem und Jericho3, wo sich die Räu
ber aufhielten; darum heißt dieser Ort Dammaim, d.h. Ort des Blutes, wegen der Ver
gießung des Blutes von den Räubern. Darum fiel auch der Mensch, welcher von Jeru
salem nach Jericho ging, unter die Räuber (Lk 20), als Bild des Adam, der von den
Teufeln besiegt wurde. Es war also geziemend, dass dort Christus den Teufel besiegte,
wo der Teufel den Menschen unter dem Bild besiegt haben soll. – Aber nicht nur
Christus wurde von dem Geist in die Wüste geführt4, sondern auch alle Söhne Gottes,
welche den Hl. Geist haben. Denn sie können nicht untätig sein, sondern der Heilige
Geist treibt sie an, etwas Großes zu unternehmen, d.h. in die Wüste und insoweit zum
Teufel zu gehen; denn dort ist keine Ungerechtigkeit, woran der Teufel keine Freude
hat. Jegliches Gute ist auch außerhalb des Fleisches und der Welt, weil es nicht nach
dem Willen des Fleisches und der Welt ist. In diese Wüste gehen also alle Söhne Got
tes, um versucht zu werden; nämlich, wenn du dir nicht vorgenommen hast, eine Frau
zu nehmen, führt dich der Hl. Geist in die Wüste, d.h. außerhalb der Grenzen des
Fleisches und der Welt, um von der Begierlichkeit des Fleisches versucht zu werden.
Wie wird aber der von der Lust versucht, der den ganzen Tag bei der Frau ist? Wir
müssen aber wissen, dass die Söhne Gottes nicht vom Teufel versucht werden, außer
sie gehen in die Wüste; die Söhne des Teufels aber, die im Fleisch und der Welt leben,
lassen sich besiegen und gehorchen. Wie ein guter Mann, der eine Frau hat, nicht Hu
rerei treibt, sondern mit seiner Gattin zufrieden ist, der böse Mann aber, wenn er auch
eine Frau hat, doch die Ehe bricht und nicht mit der Frau zufrieden ist, so findet man
es überall. Die Söhne des Teufels gehen also nicht zum Teufel hinaus, um versucht zu
werden; denn wozu soll sich der in den Streit begeben, der nicht siegen will? Die glor
würdigen Söhne Gottes aber begeben sich außer die Grenzen des Fleisches gegen ihn,
weil sie nach dem Ruhm des Sieges dürsten. Daher ging auch jetzt Christus zum Teu
fel hinaus, um von ihm versucht zu werden.
1 Gregor. in hom. 16. ut sup.
2 Chrysostom. in hom. 13. ut sup.
3 Glosse.
4 Chrysostomus.
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Matthäus 4
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Damit du aber lernst1, welch’ großes Gut das Fasten ist, und welcher Schild es
gegen den Teufel ist, und dass man nach der Taufe nicht der Ausgelassenheit, sondern
dem Fasten obliegen müsse: So fastete selbst der, welcher es nicht bedurfte, sondern
der uns dadurch unterrichten wollte. – Und damit er das Maß unseres vierzigtägigen
Fastens angäbe2, fastete er 40 Tage und 40 Nächte. Daher heißt es: Und als er 40 Tage
und 40 Nächte gefastet hatte usw. – Er ging im Fasten nicht weiter3 als Moses und
Elias4, damit die Menschwerdung nicht unglaublich schiene.
Der Schöpfer von allen aber5, aß 40 Tage lang nichts; auch wir peinigen, soviel wir
können, in der Fastenzeit unser Fleisch durch Enthaltung. Die Zahl 40 wird gewählt,
weil die Vorschrift der Zehn Gebote durch die vier Bücher des hl. Evangeliums erfüllt
wird. Denn zehn viermal genommen gibt 40; oder weil unser sterblicher Leib aus vier
Elementen besteht, durch dessen Wollust wir die Gebote des Herrn übertreten, die
durch die Zehn Gebote vorgeschrieben sind. Indem wir also durch die Begierden des
Fleisches die Zehn Gebote verachtet haben, so ist es billig, dass wir dasselbe Fleisch in
40 Tagen abtöten. Oder wie wir nach dem Gesetz das Zehnte von den Dingen dar
bringen sollen, so wollen wir ihm den Zehnten von den Tagen darbringen. Denn vom
1. Fastensonntag bis Ostern sind sechs Wochen, welche 42 Tage enthalten. Wenn wir
von diesen die sechs Sonntage abziehen, so bleiben noch 36. Da aber das Jahr 365 Ta
ge hat, so bringen wir dem Herrn gleichsam den Zehnten unseres Jahres dar. – Oder6:
Der Unterricht der ganzen Weisheit bezieht sich auf die Erkenntnis des Schöpfers und
des Geschöpfes. Der Schöpfer ist dreipersönlich, der Vater, der Sohn und der
Hl. Geist. Das Geschöpf ist aber teils unsichtbar, wie die Seele, welcher eine Dreizahl
zukommt (denn wir sollen Gott auf dreifache Weise lieben: aus ganzem Herzen, aus
ganzer Seele und aus ganzem Geist), teils sichtbar, wie der Leib, welchem eine Vier
zahl zukommt wegen des Warmen und Kalten, des Feuchten und Trockenen. Die
Zehnzahl also, welche die ganze Lehre enthält, viermal genommen (d.h. mit der Zahl
des Leibes vermehrt, weil die Verrichtung mit dem Leib geschieht) gibt 40, dessen
Teile 50 geben. Denn eins und zwei und vier und fünf und acht und zehn und 20
(welches die Teile von 40 sind) zusammengenommen gibt 50. Und darum wird die
Zeit, in der wir seufzen und trauern, mit 40 bezeichnet; aber der Zustand der Seligkeit,
in der Freude sein wird, wird durch 50 vorgebildet, d.h. von Ostern bis Pfingsten.
Weil aber Christus nach der Taufe sofort fastete, ist nicht geboten, dass wir nach der
Taufe Christi sogleich fasten müssen7; sondern wenn es mit der Versuchung zu einem
heftigeren Kampf kommt, muss man fasten, damit der Leib von der Abtötung die
Zucht und die Seele durch die Demut den Sieg erlange.
1 Chrysostom. in hom. 12. ut sup.
2 Chrysostomus.
3 Chrysostom. in hom. 13. ut sup.
4 Ex 24, 28; 34, 28; Dt 9, 9. 18; 3 Kg 19, 8.
5 Gregor. in hom. 16. ut. sup.
6 August. in lib. 83., qu. 81.
7 Idem in serm. de Quadrag. serm. 74. de diversis.
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Matthäus 4
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Der Herr aber kannte die Absicht des Teufels1 ihn zu versuchen; denn er hatte ver
nommen, dass Christus geboren wurde, indem ihn die Engel verkündeten, die Hirten
erzählten, die Weisen suchten und Johannes auf ihn hinwies. Darum zog der Herr
gegen ihn nicht als Gott, sondern als Mensch aus, mehr aber als Gottmensch. Denn
40 Tage keinen Hunger zu haben, war nicht das Werk des Menschen, aber bisweilen
zu hungern, war nicht Gottes Sache. Er hatte Hunger, damit er nicht offenbar als Gott
erkannt würde, dass er so die Hoffnung des Teufels ihn zu versuchen, vereitelte, aber
seinen Sieg verhinderte. Darum folgt: Sodann hungerte es ihn. – Denn nach 40
Tagen2, nicht während der 40 Tage, hungerte es ihn. Als der Herr Hunger litt, geschah
es nicht infolge des Fastens, sondern weil er den Menschen seiner Natur überließ; denn
der Teufel sollte nicht von Gott, sondern vom Fleisch besiegt werden. Damit zeigte er
an, dass er nach seinem 40-tägigen Aufenthalt auf dieser Erde, nach seiner Auferste
hung, nach der Erlösung der Menschheit hungern werde, wo er das Gott dem Vater er
wünschte Geschenk, den Menschen, welchen er angenommen, zum Himmel trug.
3. Da trat der Versucher hinzu und sagte zu ihm: Wenn du der Sohn Gottes bist,
sprich, dass diese Steine zu Brot werden.
4. Er aber antwortete: Es steht geschrieben: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch,
sondern von jedem Wort, das vom Mund Gottes kommt.
Da der Teufel Christus 40 Tage fasten sah3, ließ er den Mut sinken; als er aber sah,
dass es ihn hungere, fing er wieder zu hoffen an. Darum folgt: Und der Versucher trat
hinzu. Wenn du also nach dem Fasten versucht wirst, sag nicht: Ich habe die Frucht
meines Fastens verloren. Denn obwohl dein Fasten nicht dazu nützte, dass du nicht
versucht würdest, so wird es dir doch nützen, dass du von den Versuchungen nicht
besiegt werdest. – Wenn wir aber auf die Ordnung der Versuchung selbst Rücksicht
nehmen4, so sollen wir bedenken, wie wir von der Versuchung befreit werden. Denn
der Erbfeind versuchte den ersten Menschen durch die Genusssucht, als er ihn über
redete, von der verbotenen Frucht zu essen; durch Hoffart, als er sagte: Ihr werdet
sein wie Gott; durch Habsucht, als er sagte: Das Gute und Böse erkennend. Denn die
Habsucht bezieht sich nicht nur auf das Geld, sondern auch auf die Ehre, wenn man
über Gebühr nach Ruhm strebt. Gerade so aber, wie der Versucher den ersten Men
schen zum Fall brachte, unterlag er dem zweiten Menschen. Durch die Genusssucht
versuchte er ihn, da er sprach: Sprich, dass diese Steine Brot werden. Durch Hoffart,
da er sprach: Wenn du der Sohn Gottes bist, stürze dich hinab. Durch Ruhmsucht, da
er ihm die Reiche der Welt zeigte und sagte: All dies will ich dir geben.
Er fing aber damit an, wodurch er schon gesiegt hatte, nämlich mit der Genuss
sucht. Darum sprach er zu ihm: Wenn du der Sohn Gottes bist, so sprich, dass diese
1 Chrysostomus.
2 Hilarius.
3 Chrysostomus.
4 Gregor. in hom. 16. ut. sup.
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Matthäus 4
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Steine zu Brot werden.1 Wie aber hätte er so beginnen können, wenn er nicht gewusst
hätte, dass der Menschensohn kommen werde, aber nicht glaubte, dass er in der
Schwachheit des Leibes erschienen sei? Das eine bezieht sich auf die Auskundschaf
tung, das andere auf die Versuchung. An Gott will er glauben, aber den Menschen
sucht er zu verhöhnen. – Seine Versuchung richtete er also so ein2, dass er aus der
Verwandlung der Steine in Brot die Allmacht Gottes erforschte, und durch die Lo
ckung der Speise die Geduld des hungernden Menschen verspottete. – Aber zwei Wi
dersprüche begehst du3, Satan. Denn wenn auf sein Geheiß die Steine zu Brot werden,
so versuchst du den umsonst, der eine solche Macht hat; wenn er es aber nicht kann,
vermutest du an ihm umsonst den Sohn Gottes.
Wie aber der Teufel alle Menschen blind machte4, so wurde er jetzt auf unsichtbare
Weise von Christus blind gemacht. Denn nach 40 Tagen sah er ihn hungern, und
40 Tage sah er ihn nicht hungern. Da er dachte, er sei nicht der Sohn Gottes, glaubte
er nicht, dass sich ein tapferer Streiter zu dem, was schwach ist, herablassen kann; der
Schwache aber kann sich zu dem, was schwer ist, nicht erheben. Also sollte er mehr
daraus, dass er so lange nicht aß, eingesehen haben, dass er Gott ist, als daraus, dass er
nach so vielen Tagen Hunger leide, einsehen, dass er ein Mensch ist. Aber du entgeg
nest: Moses und Elias fasteten 40 Tage und waren Menschen. Aber diese hatten bei
dem Fasten Hunger und hielten ihn aus; aber dieser hatte vierzig Tage keinen Hunger,
sondern nachher. Denn zu hungern und nicht zu essen, ist ein Zeichen der menschli
chen Ausdauer; nicht zu hungern aber, verrät die göttliche Natur.
Christi Absicht war5, durch Demut zu siegen. – Darum besiegte er den Widersa
cher durch Zeugnisse aus dem Gesetz6, nicht vermöge seiner Macht, damit er dadurch
sowohl den Menschen mehr ehrte, als den Gegner mehr straft, da der Feind des Men
schengeschlechtes nicht nur gleichsam von Gott, sondern gleichsam vom Menschen
besiegt würde. Daher folgt: Er aber antwortete ihm: Es steht geschrieben: Nicht vom
Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das vom Mund Gottes
kommt. – So also antwortete der vom Satan versuchte Herr mit Stellen aus der
Hl. Schrift; obwohl er seinen Versucher in den Abgrund stürzen konnte, so zeigte er
doch die Kraft seiner Macht nicht, um uns nämlich ein Beispiel zu geben, dass, so oft
wir von bösen Menschen etwas zu erdulden haben, wir mehr zur Schrift7, als zur Ra
che uns antreiben lassen sollen.
Er sagte aber nicht8: Nicht vom Brot allein, damit es nicht schiene, er habe es von
sich gesagt, sondern, dass der Satan sagen konnte: Wenn er der Sohn Gottes ist, ver
1 Ambros. sup. Luc. lib. 4. de prima tentatione Christi.
2 Hilarius can. 3. in Matth.
3 Hieronymus.
4 Chrysostomus.
5 Hieronymus.
6 Leo in serm. 1. de Quadr.
7 Gregor. in hom. 16.
8 Chrysostomus.
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Matthäus 4
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birgt er sich, dass er nicht zeigt, was er kann; wenn er ein Mensch ist, so entschuldigt
er sich mit List, damit es nicht offenbar werde, dass er es nicht könne. – Diese Stelle1
aber ist aus dem fünften Buch Mose2 genommen. Wer also das Wort Gottes nicht ge
nießt, der lebt nicht; denn wie der menschliche Leib ohne irdische Speise nicht leben
kann, so kann auch die Seele ohne das Wort Gottes nicht leben. Das Wort kommt
aber vom Mund Gottes, wenn es seinen Willen durch die Zeugnisse der Schrift enthüllt.
5. Alsdann nahm ihn der Teufel mit sich in die Heilige Stadt und stellte ihn auf die
Zinne des Tempels,
6. und sprach zu ihm: Wenn du der Sohn Gottes bist, so stürze dich hinab. Denn es
steht geschrieben: Seinen Engeln befahl er deinetwegen, und sie werden dich auf den
Händen tragen, damit du nicht etwa deinen Fuß an einen Stein anstoßest.
7. Jesus sprach zu ihm: Wiederum steht geschrieben: Du sollst Gott, deinen Herrn,
nicht versuchen.
Da der Satan aus der vorhergehenden Antwort Christi nichts Bestimmtes erfahren
konnte3, ob Christus Gott oder Mensch sei, führte er ihn zu einer zweiten Versu
chung, indem er zu sich sprach: Wenn auch dieser, welcher vom Hunger nicht über
wältigt wird, der Sohn Gottes nicht ist, so ist er doch ein Heiliger. Denn die heiligen
Menschen werden vom Hunger nicht besiegt, fallen aber durch den eitlen Ruhm,
wenn sie jede Notwendigkeit des Fleisches besiegt haben. Darum fing er an, ihn mit
dem eitlen Ruhm zu versuchen. Daher folgt: Sodann nahm ihn der Teufel in die Heili
ge Stadt. – Dieses geschah nicht wegen der Schwäche des Herrn4, sondern vom Stolz
Satans, welcher den Willen des Erlösers für Zwang hält. – Heilig aber hieß die Stadt
Jerusalem5, weil darin der Tempel Gottes, das Allerheiligste und die Verehrung des
einen Gottes nach dem Gesetz Mose war. – Daraus geht hervor6, dass der Satan den
Gläubigen Christi auch an den hl. Orten nachstellt.
Aber sieh, wenn es heißt, der Gottmensch sei in die Heilige Stadt vom Satan ge
führt worden, so schaudern die menschlichen Ohren, wenn sie es hören. Doch wozu
soll man sich darüber wundern, dass er sich von dem Satan auf den Berg führen ließ,
da er sich von seinen Gliedern kreuzigen ließ?7 – Denn der Teufel führt immer in die
Höhe, indem er durch Hochmut erhebt, um herabstürzen zu können.8 Und darum
folgt: Er stellte ihn auf die Spitze des Tempels. – Die Zinne des Tempels war9 der Sitz
1 Rabanus.
2 Dt 8, 3.
3 Chrysostomus.
4 Hieronymus.
5 Rabanus.
6 Remigius.
7 Gregor. in hom. 10. ut sup.
8 Glosse.
9 Remigius.
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Matthäus 4
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der Lehrer; denn der Tempel hatte kein erhabenes Dach, wie unsere Häuser, sondern
war oben eben, wie es in Palästina üblich war, und in dem Tempel selbst waren drei
Abteilungen. Es ist zu bemerken, dass auf dem Estrich die Zinne, und dass über jeder
Abteilung eine Zinne war. Wenn er ihn also auf jene Zinne stellte, die auf dem Est
rich, oder auf jene, welche in der ersten, zweiten oder dritten Abteilung war, so muss
man darunter verstehen, dass er ihn an eine solche Stelle brachte, wo man sich hinab
stürzen konnte. – Es ist aber zu bemerken1, dass dies alles dem Leib nach geschah;
denn weil Worte gewechselt werden, ist es wahrscheinlich, dass der Teufel in mensch
licher Gestalt erschien. – Aber vielleicht sagst du2: Wie stellte er ihn im Angesicht aller
dem Leib nach auf den Tempel? Aber vielleicht nahm ihn der Teufel so mit sich, dass
er von allen gesehen wurde, er selbst aber war, ohne dass es der Teufel wusste, un
sichtbar, so dass er von niemandem gesehen wurde.
Darum aber führte er ihn auf die Spitze des Tempels3, da er ihn mit eitlem Ruhm
versuchen wollte, weil er auf dem Lehrstuhl viele durch die Ruhmsucht gestürzt hatte.
Darum glaubte er, wenn er ihn auf diesen Ort stellte, durch eitlen Ruhm überwinden
zu können. Daher folgt: Und er sprach: Wenn du der Sohn Gottes bist, so stürze dich
hinab. – Denn in allen Versuchungen war es seine Absicht4, kennen zu lernen, ob er
der Sohn Gottes sei. Er sagt aber: Stürze dich hinab, weil die Worte des Satans, wel
cher immer wünscht, dass die Menschen von der Höhe hinabstürzen, zwar bereden,
aber nicht stürzen können. – Wie konnte er aber durch diese Versuchung erkennen5,
ob er der Sohn Gottes sei, oder nicht? Denn durch die Luft zu fliegen, ist nicht eigent
lich Gottes Sache, weil es niemanden nützt. Wenn also jemand auf die Überredung hin
fliegen würde, so tut er dies allein aus Ruhmsucht, und es kommt vielmehr vom Teu
fel als von Gott. Wenn es aber dem weisen Mann genügt, zu sein, was er ist, und er
nicht das zu scheinen braucht, was er nicht ist: um wie viel mehr braucht der Sohn
Gottes nicht das zu zeigen, was zu erkennen in keines Menschen Gewalt liegt?
Aber weil Satan6 sich in die Gestalt eines Engels des Lichtes verwandelt7, und die
Hl. Schrift selbst, als ein Mittel zum Fall für die Gläubigen anwendet, so bedient er
sich der Schrift nicht dazu, um zu lehren, sondern um zu hintergehen. Darum folgt:
Denn es steht geschrieben, dass er seinen Engeln deinetwegen befahl. – Dies lesen wir
im 90. Psalm8; aber diese Weissagung geht nicht auf Christus, sondern auf einen heili
gen Mann. Der Teufel ist also ein schlechter Erklärer der Schrift. – Denn in der Tat9
wird der Sohn Gottes nicht von den Engeln in den Händen getragen, sondern er trägt
1 Glosse.
2 Chrysostomus.
3 Glosse.
4 Hieronymus.
5 Chrysostomus.
6 Ambrosius super Lucam, lib. 4. in Luc. de tertia tentatione Christi.
7 2 Kor 4, 14.
8 Hieronymus.
9 Chrysostomus.
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Matthäus 4
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vielmehr die Engel. Wenn er aber von den Engeln in den Händen getragen wird, so
geschieht es nicht, dass er wegen Schwachheit seinen Fuß nicht an einen Stein stoße,
sondern wegen seiner Ehre als Herr. O Satan, dass der Sohn Gottes von den Engeln
in den Händen getragen wird, hast du gelesen; dass er aber auf Schlangen und Basilis
ken tritt, hast du nicht gelesen. Jenes Beispiel führt er aus Stolz an, dieses aber über
geht er aus List. – Betrachte auch1, dass der Gottmensch die Zeugnisse nach der
Wahrheit, der Satan aber verkehrt anführte. Denn die Worte: Er hat seinen Engeln be
fohlen usw., beweisen nicht, dass man sich selbst hinabstürzen müsse. – Man kann also
diese Stelle so auslegen2: Die Schrift sagt von jedem guten Menschen, dass er seinen
Engeln, d.h. den dienstbaren Geistern, seinetwegen befahl, dass sie ihn in ihren Händen
tragen, d.h. ihn beschützen, und wachen, dass er seinen Fuß, d.h. seine Willensregung,
nicht an den Stein stoße, d.h. an das alte, auf steinerne Tafeln geschriebene Gesetz.
Oder man kann unter dem Stein jede Veranlassung zur Sünde und zum Fall verstehen.
Es ist aber zu bemerken3, dass unser Erlöser dennoch seinem Befehl nicht ge
horchte, obschon er sich vom Teufel auf die Zinne des Tempels stellen ließ, um uns
ein Beispiel zu geben, dass wir gehorchen sollen, wer uns immer den engen Weg der
Wahrheit zu wandeln befiehlt; dass wir aber den nicht anhören sollen, der uns von der
Höhe der Wahrheit und der Tugenden in die Tiefe des Irrtums und der Laster stürzen
will. – Aber die falschen Pfeile des Teufels aus der Hl. Schrift scheitern am wahren
Schild der Schrift4. Darum folgt: Jesus sprach zu ihm: Wiederum steht geschrieben:
Du sollst Gott deinen Herrn nicht versuchen. – Indem er die Angriffe des Satans zu
rückschlug5, bezeugt er sich sowohl als Gott wie als Herrn. – Er sagte aber nicht6: Du
sollst mich, den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen, sondern: Du sollst den Herrn,
deinen Gott, nicht versuchen, was jeder vom Teufel versuchte Mann Gottes sagen
konnte; denn der, welcher einen Mann Gottes versucht, versucht auch Gott. – Oder
so7: Er flüsterte ihm als einem Menschen ein, dass er durch ein Zeichen erforschte,
wie viel er bei Gott vermöge. – Es gehört aber zur wahren Lehre 8, den Herrn, seinen
Gott, nicht zu versuchen, wenn der Mensch Macht zu tun hat. – Es ist zu bemerken9,
dass er die nötigen Stellen nur aus dem fünften Buch Mose nahm, um die Geheimnis
se des zweiten Gesetzes anzudeuten.
8. Wiederum nahm ihn der Teufel auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche
der Welt und ihre Pracht,
1 Chrysost. in hom. 13. in Matth. ut sup.
2 Glosse.
3 Rabanus.
4 Hieronymus.
5 Hilarius.
6 Chrysostomus.
7 Rabanus.
8 August. contr. Faustum. lib. 22. c. 36.
9 Hieronymus.
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Matthäus 4
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9. und sprach zu ihm: Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich an
betest.
10. Dann sprach Jesus zu ihm: Weiche, Satan; denn es steht geschrieben: Gott, den
Herrn, sollst du anbeten und ihm allein dienen.
11. Alsdann verließ ihn der Teufel, und sieh, die Engel traten hinzu und dienten ihm.
Der Teufel1, den die zweite Antwort im Ungewissen gelassen hatte, ging zur drit
ten Versuchung über. Denn weil Christus die Netze der Genusssucht zerbrochen, und
an denen des eitlen Ruhmes vorübergegangen war, legte er ihm die Netze der Hab
sucht. Darum heißt es: Wiederum nahm ihn der Teufel auf einen sehr hohen Berg,
den er nämlich weit und breit als den höchsten wusste. Denn je höher der Berg ist,
desto größer erscheint die Erde von ihm aus. Daher folgt: Und er zeigt ihm alle Rei
che der Welt und ihre Herrlichkeit. Er zeigte sie ihm aber so, dass er nicht ihre Reiche
oder Städte oder Völker oder ihr Gold und Silber selbst sah, sondern die Teile der Er
de, in welchen ein jedes Reich oder eine jede Stadt lag, als wollte ich dir auf einem ho
hen Berg mit dem Finger auf die Städte hinweisen und sagen: Sieh, dort ist Rom oder
Alexandria, wobei ich sie dir nicht so zeige, dass du die Städte selbst siehst, sondern
die Gegenden, in denen sie liegen. So konnte der Teufel auch Christus alle Orte zei
gen, die Ehren und die Vorzüge eines jeden Reiches ihm erklären. Denn zeigen heißt
auch zur Erkenntnis bringen. – Oder so2: Man darf nicht glauben, dass er, ihm die
Reiche der Welt zeigend, das Reich der Perser, Inder oder Meder nannte, sondern er
zeigte ihm sein Reich, wie er in der Welt regierte, d.h. wie die einen von der Wollust,
die anderen von der Habsucht usw. beherrscht werden. – Der Teufel aber zeigte dies
dem Herrn3, nicht als ob er seinem Blick eine größere Ausdehnung geben, oder etwas
Unbekanntes zeigen konnte, sondern er zeigte ihm die Eitelkeit der weltlichen Pracht,
die er selbst liebte, als schön und begehrenswert, indem er gleichsam Christus eine
Liebe dazu einflössen wollte. – Der nicht mit dem Auge der Begierlichkeit4, wie wir,
anschaut, sondern die Ärzte die Krankheiten ohne Verletzung sehen.
Es folgt: Und er sprach zu ihm: Dies alles will ich dir geben. Er redet stolz und an
maßend; denn er kann nicht alle Reiche geben, da wir wissen, dass sehr viele heilige
Männer von Gott zu Königen erhoben wurden. – Das5, was durch Sünden in der
Welt geschieht, wie Reichtum, den man sich durch Diebstahl oder Gottlosigkeit ver
schaffte, verleiht der Satan. Der Teufel kann nur denen Reichtum geben, welche ihn
von ihm empfangen wollen. – Der Wahnsinn des Teufels ist auch zu bewundern6; er
versprach jenem die irdischen Reiche, welcher seinen Gläubigen das Himmelreich
gibt, und den Ruhm der Welt dem, welcher der Herr der himmlischen Herrlichkeit ist.
1 Chrysostomus.
2 Origenes super Luc. hom. 30.
3 Remigius.
4 Glosse.
5 Chrysostomus.
6 Remigius.
119
Matthäus 4
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Die Ruhmsucht hat aber eine eigene Gefahr1; denn, um über andere zu herrschen,
dient sie zuerst; sie leistet Dienste, um mit Ehre beschenkt zu werden, und wird, wäh
rend sie hoch emporstrebt, niedrig. Darum heißt es: Wenn du niederfällst und mich
anbetest. – Sieh den alten Stolz des Teufels2; denn wie er am Anfang sich Gott gleich
machen wollte, so sucht er sich jetzt eine göttliche Ehre anzumaßen, indem er sagt:
Wenn du niederfällst und mich anbetest. Wer also den Teufel anbeten will, der fällt
zuerst nieder.
Es folgt: Alsdann sprach Jesus zu ihm: Entferne dich, Satan. – Damit macht er der
Versuchung des Teufels ein Ende3, dass er nicht weiter ihn zu versuchen fortfuhr.
Aber nicht auf dieselbe Weise4, wie die Meisten glauben, wird der Satan und Petrus
abgefertigt. Denn zu Petrus sprach der Herr: Weiche zurück, hinter mir, Satan, d.h.
folge mir nach, der du meinem Willen widerstehest. Aber zu diesem spricht der Herr:
Entferne dich, Satan, aber nicht zurück, so dass man darunter versteht: Gehe in das
ewige Feuer, das dir und deinen Engeln bereitet ist. – Oder nach anderen Lesarten5:
Gehe zurück6; d.h. denke zurück, erinnere dich, in welcher Herrlichkeit du geschaffen
wurdest, und in welche Armseligkeit du fielst. – Es kommt zu betrachten7, dass Chris
tus, als Satan in der Versuchung zu ihm sagte: Wenn du der Sohn Gottes bist, stürze
dich hinab, nicht in Verwirrung geriet, noch auch das ihm verwies; jetzt aber, da der
Teufel sich göttliche Ehre anmaßte, erbitterte er sich und vertrieb ihn: Weiche, Satan,
damit wir durch sein Beispiel lernen sollen, zwar unsere Beleidigungen großmütig zu
ertragen, die Beleidigungen Gottes aber selbst nicht, wenn man sie anhört, zu erdul
den; denn es ist löblich, bei den eigenen Beleidigungen geduldig zu sein, zu den Belei
digungen Gottes aber zu schweigen, ist gottlos.
Dem Teufel8, der zum Erlöser sagte: Wenn du niederfällst und mich anbetest, wird
im Gegenteil die Antwort gegeben, dass er ihn vielmehr als Herrn und Gott anzubeten
habe. – Darum folgt9: Denn es steht geschrieben, den Herrn, deinen Gott, sollst du
anbeten und ihm allein dienen. Der eine Herr, unser Gott, ist selbst die Dreieinigkeit,
dem wir allein den Dienst der Anbetung mit Recht zollen. – Unter den Worten10:
Dienst und dienen, versteht man aber die Gott schuldige Verehrung. Denn das grie
chische Wort Latria übersetzte man überall, wo es in der Hl. Schrift vorkommt, mit
Dienst (servitus) – oder Verehrung, Anbetung; – aber der Dienst, den wir den Men
schen schuldig sind nach den Worten des Apostels (Tit 2, 9): Die Knechte sollen sich
1 Ambrosius in Luc. ut sup.
2 Glosse aus Anselm und Rabanus.
3 Chrysostomus.
4 Hieronymus.
5 Remigius.
6 Nach dem Griechischen: o¹pi¿swion.
7 Chrysostomus.
8 Hieronymus.
9 August. cont. serm. Arian. c. 29.
10 Idem 10. de civit. D. c. 1.
120
Matthäus 4
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ihren Herren unterwerfen, heißt im griechischen Dulia, während Latria entweder im
mer, häufig oder fast immer den Dienst bezeichnet, welcher sich auf die Verehrung
Gottes bezieht. – Der Teufel aber wich nicht1, wie man Grund hat, anzunehmen, aus
Gehorsam gegen das Gesetz zurück, sondern die Gottheit Christi und der Hl. Geist,
der in ihm wohnte, trieb den Teufel zurück. Darum folgt: Sodann verließ ihn der Teu
fel. Dies gereicht uns aber zum Trost, weil der Teufel die Menschen Gottes nicht so
lange versucht, als er will, sondern solange es Christus gestattet. Wenn er den Men
schen auch etwas hart versuchen lässt, so treibt er ihn doch wegen seiner schwachen
Natur zurück.
Nach der Versuchung aber dienten die guten, den unreinen Geistern furchtbaren
Engel dem Herrn2, und dadurch wurde es dem Teufel immer klarer, wer er sei. Darum
folgt: Und sieh, die Engel traten hinzu und dienten ihm. – Er sagte aber nicht3: Die
Engel kommen herab, um zu zeigen, dass sie immer zu seinem Dienst auf Erden wa
ren; aber damals wichen sie auf den göttlichen Befehl von ihm zurück, damit der Satan
zu Christus Zutritt hätte, dass er sich etwa bei dem Anblick der ihn umstehenden En
gel nicht näherte. Worin sie ihm aber dienten, können wir nicht wissen, ob zur Hei
lung der Krankheiten, ob zur Zurechtweisung der Seelen, oder zur Vertreibung der
Teufel, was er alles durch die Engel tut; darum scheint er es, wenn diese es tun, selbst
zu vollbringen. Doch ist es offenbar, dass sie ihm nicht wegen Ohnmacht, sondern
wegen der Ehre seiner Macht dienten. Denn es heißt nicht, dass sie ihm halfen, son
dern dass sie ihm dienten. – Daraus aber erkennt man die beiden Naturen der einen
Person4, weil es der Mensch ist, den der Teufel versucht, und weil derselbe Gott ist,
dem die Engel dienen. – Nun wollen wir in Kürze sagen5, was die Versuchungen
Christi bezeichnen. Das Fasten ist die Enthaltung von einer bösen Sache, der Fraß ist
das Verlangen danach, die Sache ist das Brot. Wer also die Sünde hineinisst, der ver
wandelt den Stein in Brot. Man soll also dem Teufel, der versucht, antworten: Nicht
vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von der Beobachtung der Gebote Gottes.
Wenn aber jemand sich den Schein eines Heiligen gibt und aufgeblasen ist, der erhebt
sich über den Tempel, und wenn er auf der Spitze der Heiligkeit zu stehen glaubt,
stellt er sich auf die Zinne des Tempels. Diese Versuchung folgt auf die erste, weil der
Sieg über die Versuchung Ruhm bewirkt, und so die Ursache von der Hoffart wird.
Aber sieh, Christus übernahm das Fasten aus freien Stücken, auf den Tempel aber
führte ihn der Teufel. Damit du zur löblichen Enthaltung aus freien Stücken schrei
test, aber dich nicht zum Hochmut wegen der Heiligkeit bringen lassest, fliehe die Er
hebung des Herzens, und du fällst nicht. Die Ersteigung des Berges aber ist das Fort
gehen zur Höhe des Reichtums und der Pracht dieser Welt, welche von dem Stolz des
1 Chrysostomus.
2 August. 9. civ. D. c. 20.
3 Chrysostomus.
4 Gregor. in hom. 15. ut sup.
5 Chrysostomus.
121
Matthäus 4
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Herzens entsteht. Wenn du also reich werden, d.h. auf den Berg emporsteigen willst,
fängst du an, an die Erwerbung von Ehren und Reichtum zu denken, und sodann
zeigt dir der Fürst dieser Welt die Pracht seines Reiches. Drittens legt er dir Bedingun
gen vor, damit du, wenn du sie erlangen willst, ihm dienest, und Gott auf die Seite set
zest. – Wenn wir aber den Satan überwunden und sein Haupt unter unseren Füßen
haben1, werden uns die Dienste der Engel und der himmlischen Kräfte nicht fehlen.
Lukas zählte diese Versuchung nicht in der Ordnung auf2; daher ist es ungewiss,
was zuerst geschah, ob ihm die Reiche der Welt zuerst gezeigt wurden, und er hernach
auf die Zinne des Tempels erhoben wurde, oder umgekehrt. Es tut aber nichts zur Sa
che, wenn es nur ausgemacht ist, dass alles dies geschah. – Was aber Lukas sagt3,
scheint mehr der Geschichte gemäß zu sein, aber Matthäus erzählt diese Versuchun
gen nach der Ordnung, wie sie bei Adam eintraten.
12. Als aber Jesus vernommen hatte, dass Johannes eingekerkert worden sei, begab er
sich nach Galiläa.
13. Er verließ die Stadt Nazareth, kam und wohnte in der Stadt Kapharnaum, die am
Meer im Gebiet von Zabulon und Nephtalim lag,
14. damit erfüllt würde, was durch den Propheten Isaias gesagt wurde:
15. Das Land Zabulon und das Land Nephtalim, der Weg am Meer jenseits des Jor
dans, Galiläa der Heiden,
16. das Volk, das in der Finsternis wandelte, sah ein großes Licht, und denen, die im
Land des Todesschattens sitzen, ging ein Licht auf.
Nachdem Matthäus vom vierzigtägigen Fasten, der Versuchung Christi und dem
Dienst der Engel gesprochen hatte, setzt er sogleich hinzu: Als aber Jesus hörte, dass
Johannes überliefert worden sei usw. – Ohne Zweifel von Gott, weil niemand gegen
einen Heiligen etwas vermag, außer wenn es Gott zulässt. Es folgt: Er begab sich nach
Galiläa, nämlich von Judäa, dass er sein Leiden auf die rechte Zeit verschöbe; endlich,
damit er uns ein Beispiel gäbe, die Gefahr zu fliehen. – Denn es ist nicht Sünde, sich
selbst nicht in die Gefahr zu stürzen, wohl aber, wenn man darin ist, nicht standhaft
zu stehen. – Er entfernt sich auch von Judäa, den jüdischen Hass zu beschwichtigen,
die Weissagung zu erfüllen, und die Lehrer des Erdkreises, in das Netz zu fangen, wel
che in Galiläa sich aufhielten. Bemerke aber, warum er die Juden verließ und zu den
Heiden ging; denn da sie den Vorläufer in den Kerker geworfen hatten, zwangen sie
Jesus, nach Galiläa der Heiden zu gehen. – Wie aber Lukas erzählt4, kam er nach Na
zareth, wo er ernährt worden war und er sagte vieles, weswegen sie ihn über den Berg
hinabstürzen wollten, und sodann ging er nach Kapharnaum. Darum sagt jetzt Mat
1 Hilarius can. 3. ut sup.
2 August. de cons. Evang. 1. 2. c. 16.
3 Glosse aus Anselm.
4 Glosse.

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