Katholische Mystik: ein Jungbrunnen für die Seele

Meine fünf liebsten Mystiker

Berlin, 26.Januar 2020

Als ich noch ein guter Lutheraner war, glaubte ich auch an Gott, oh ja. Aber liebte ich ihn wahrhaft?

Jesus war mehr so etwas wie ein Heilsfunktionär: er ist gekommen, meine Sünden hinweg zu nehmen!

Aber Liebe? Als guter Lutheraner sollte ich an Gott glauben, da ja, aber lieben brauchte ich ihn nicht.

Als Katholik ist es tatsächlich alles ganz anders. Ich kann wahrhaft behaupten, den eingeborenen Sohn Gottes zu lieben, weil ich ihn ganz anders erfahre.

Er ist kein Heilsfunktionär mehr, sondern lebt – und ich darf mit ihm leiden! Und ich darf, sein Leiden jetzt erfahren, denn jetzt leidet er nicht weniger als auf Golgatha, denn Jesus lebt, jetzt.

Jetzt möchte Jesus alle Menschen zu sich ziehen, weil er das Heil aller Menschen will; und er leidet jetzt, weil so viele, viele, so sehr viele Sünder verloren gehen.

Schon kurz vor meinem Übertritt sah ich viele Bilder; ich dachte immer: „Oh, Stephan, du Sensibelchen, das sind die vielen Bilder, die in den katholischen Kirchen hängen.“

Nein, Martin Luther hatte nicht Recht: mystische Erfahrungen sind jedem möglich – wenn mir, dann doch wohl allen anderen Sündern auch, gelle?

Wer einmal mit Jesus, Maria und Heiligen in Verbindung war – bei mir nur rein visuell, keine Botschaften –, der will mehr, weil er verkostet: Jesus und der Himmel, dann es keine Sätze, die man auswendig lernt.

Den klassischen Weg der Einung mit Gott hat Marianne Schlosser[1] mustergültig in einem kleinen Aufsatz für eines der besten mystischen Bücher des klassischen Mittelalters geschrieben: der heilige Bonaventura war neben dem heiligen Thomas von Aquin der größte Scholastiker, denn eines ist immer klar – katholische Mystik beruht immer auch auf echter Gotteserkenntnis und ist niemals gegen die gute Lehre. Mystik ist neben der Gotteserkenntnis immer auch ein Handeln der Abtötung der Sinne, also des körperlichen Lebens.

  1. Betrachtung (meditatio)
  2. Gebet (oratio)
  3. Beschauung (contemplatio)
  4. Reinigung (purgatio)
  5. Erleuchtung (illuminatio)
  6. Vollendung (perfectio)

Leicht ist zu erkennen, dass die beiden Dreierpaare (a-c) und (d-f) nicht nur viele Ähnlichkeiten haben, sondern gleichsam andere Worte für das Nämliche bilden, also einander bedingen und ergänzen.

 

  1. Das Tagebuch meiner Lieblingsheiligen Schwester Faustyna Kowalska aus Krakau

Ich weiß nicht mehr, wie ich auf dieses Buch kam, aber jeden Abend vor dem zu Bett gehen, weiß ich: hier tanke ich auf – bei meiner liebsten geistlichen Schwester. Keine leibliche Schwester kann mehr bedeuten, nein, gar nicht.

Viele Katholiken mögen mystische Literatur lesen und vor Neid erblassen. Sie sehen die Werke dieser großartigen Menschen und wollen sie nachahmen.

So dürfen wir niemals die Mystiker lesen, denn sie sind natürlich die allerbesten Vorbilder, aber vielmehr als das: sie sind wahrhafte Wegbegleiter, denn sie wollen niemals Neid erwecken, sondern nur Mut machen – Mut für den nächsten, den vielleicht allerkleinsten Schritt zum Himmel.

Und was ist dieses Buch grandios: supertoll übersetzt aus dem Polnischen, mit lieblichen Gedichten, starken Litaneien und einer Heiligen, die intelligent ist und die vielen Akzente des menschlichen Lebens kennt – sie ist an Tuberkulose der inneren Eingeweide praktisch verfault.

Und sie ging von Anfang an im Vertrauen auf Jesus einen so makellosen und reinen Weg mit Jesus – wie ihn wohl nur Maria gegangen ist.

Wer also Maria in ihrer geistlichen Herrlichkeit näher kennen will, lese dieses Buch!

 

  1. Anna Katherina Emmerick

Auch bei ihr weiß ich nicht mehr, wie ich darauf kam: alle ihre Werke sind nur zu empfehlen und echte Meilensteine der mystischen Literatur.

Wer wissen will, wie genau unser Heiland Jesus Christus gemartert und zum Tode gebracht wurde, muss ‚Das bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus‘ lesen – minutiös wird hier beschrieben, was auf Golgatha geschah. Das ist sicher viel besser, als den insgesamt schlechten Jesus-Film von Mel Gibson.

Denn: es ist ein schierer Gottesbeweis, wenn eine theologisch und historisch ungebildete Nonne so ein großes Wissen hat, das im Heiligen Land seines Gleichen sucht!

Mystiker schauen Gott, jawohl! Sie freuen sich in dieser Schau an ihm, den sie verkosten (fruitio Dei), jawohl! Und dennoch ist so äußerst erbaulich, wenn sie, wie unsere deutsche Selige, von Tatsachen reden, die aus übernatürlichem Wissen stammen.

Besonders herausragend ist auch ihr Marienbuch ‚Das Leben der heiligen Jungfrau Maria‘. Der Verlag ‚Stein am Rhein‘, der diese Meisterwerke herausgegeben hat, ist in allen seinen Büchern zu empfehlen.

Ich lese gerade die nur noch antiquarisch erreichbaren Lebensbeschreibungen der Emmerick und ihres ‚Pilgers‘, Clemens von Brentano, der ihre Visionen zu Papier brachte.

 

 

  1. Marienweihe durch das ‚Goldene Buch‘

Totus Tuus war der Wahlspruch des heiligen Johannes Paul II.: „Ganz der Deine“ – und damit ist Maria gemeint.

Wer Jesus kennen lernen will, kann es in besonderer Weise über seine Mutter tun. Die in meinen Augen beste Marienweihe ist die vom genannten Papst empfohlene und geübte mit dem „Das Goldene Buch“ vom heiligen Ludwig Maria Grignion von Montfort. Manche theologischen Begründungen sind etwas stark allegorisch.

Der Kreuzweg allerdings hat es in sich: mit den Augen Mariens gehen wir die Leidensgeschichte seines Sohnes nach – äußerst gelungen und kaum besser zu machen. Nur wenn wir den Sohn Gottes quasi lebendig werden lassen, indem wir seinen Leidensweg nachgehen, können wir tiefer verstehen, was Er für uns tat.

Mehr als gelungen ist die Verbindung von Litaneien, Gebeten und dem wichtigsten Andachtsbuch des Mittelalters, Thomas von Kempens ‚Nachfolge Christi‘.

Und ein Kleinod: die deutsche Übersetzung des Ave Maris stella – wunderbar innig!

Wer diese Andacht übt, kommt Maria gewiss näher.

 

  1. Schwester Lucia spricht über Fatima – Erinnerungen der Schwester Lucia I“

Es ist unfassbar, wie der Himmel über uns wacht: als der Erste Weltkrieg tobte, konnte niemand wissen, dass das orthodoxe Russland eine Arbeiterrevolution unter Lenin erleben würde – das rückständigste Land Europas, mit einer hauchdünnen Arbeiterschicht in den Städten, ganz gegen die Erwartungshaltung der kommunistischen Lehre.

1917 wurde nicht nur der Aufstieg des Bolschewismus den drei Hirtenkindern Lucia, Jacintha und Francisco vorhergesagt, sondern auch der Zweite Weltkrieg.

Das ist es, was der Apostel Johannes in seiner Offenbarung wusste – vor zweitausend Jahren: „Da geriet der Drache in Zorn über die Frau und er ging fort, um Krieg zu führen mit ihren Nachkommen, die die Gebote Gottes bewahren und an dem Zeugnis für Jesus festhalten.“ (Offb 12,17) Maria ist die Mutter Gottes und gewaltige Fürsprecherin bei ihrem Sohn im Himmel. Und sie greift immer wieder in die menschliche Geschichte ein.

Es gibt kaum ein evangelistischeres Buch als dieses von Schwester Lucia: sie macht uns Freude, Maria, die Mutter Gottes zu verehren und der Botschaft von Fatima treu zu sein – Buße am ersten Samstag im Monat zu tun, um Maria in ihrem Leiden für die Kinder Gottes zu trösten.

Schwester Lucia schildet uns anschaulich die große Liebe der Fatima-Kinder zur Mutter Gottes. In vielen Kleinigkeiten können wir Sühne leisten, z.B. im Wedeln von Brennnesseln am Körper; das ist unblutig und fördert die Durchblutung, echt.

 

  1. Bernhard von Clairvaux: „Buch über die Gottesliebe“

Als ehemaligem Lutheraner war mir die rechte Gottesliebe eine nicht geringe Schwierigkeit. Luther verstieg sich zu absurden Thesen, die auf den ersten Blick fromm klangen, aber es gar nicht waren.

Die erste These der 95 lautet: „Das ganze Leben soll eine Buße sein!“ Holler, da trippelt die Waldfee.

Bernhard von Clairvaux ist ein begnadeter Scholastiker, der viele gute Bücher über Maria geschrieben hat, die ich leider nicht kenne. Aber ich kenne einige äußerst gute theologische Abhandlungen über ‚Freien Willen und Gnade‘ oder die Demut.

In dieser Abhandlung geht es um die Stufen der Gottesliebe, wobei der Selbstliebe völlig zu Recht einen Platz eingeräumt wird: wir leben und dürfen uns natürlich um unser Leben sorgen.

Das ist die erste und unterste Stufe, an der ich immer gescheitert war. Ja, wenn es Gott zulässt, dann dürfen wir uns auch um uns selbst sorgen.

Wir müssen nur lernen, an Gottes Hand geführt, den Willen Gottes zu erkennen. Neben weiteren Stufen der Gottesliebe ist die höchste nämlich die Liebe zu Gott in der Verachtung des eigenen Lebens.

Wie ein Kind lässt uns Gott an seiner weisen Hand lernen, wie wir der Welt gegenübertreten sollen.

Oder wie es die heilige Theresa von Avila sagte: „Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn; wenn Buße, dann Buße!“

In der Gottesliebe steckt nämlich jede Menge Dynamik: nicht unsere eigene – wie ich immer dachte –, sondern die Gottes; es ist nämlich der Geist Gottes, der uns bewegen soll.

So sollte die Theologie sein: die vielen Alltagssituationen erkennen und eine Handlungsempfehlung geben.

 

 

  1. Wozu also Mystik?

Sie gibt einen Vorgeschmack auf die himmlische Wirklichkeit, die uns erwartet. Mehr nicht. Und das reicht, um unbedingt die Sünde sein lassen zu wollen, weil wir unbedingt bei Jesus sein wollen.

[1] Vgl. Schlosser, Marianne, Einleitung, in: Bonaventura, Über den dreifachen Weg, Fontes Christiani 14, Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York 1993, 7-89.

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