… funktionierte zum ersten Mal nicht
Berlin, 3.Januar 2021
Naja, als alleinstehender Berliner hat man so seine Nöte: wohin mit der vielen freien Zeit? Das einzige Kind (seufz!) ist schon fast zweizwanzig Jahre alt, also irgendwo dann doch aus dem Gröbsten heraus.
Da bleibt dann nur ein ziemlich großer Überschuss an sozialem Geltungsdrang. Der Kelch von Karriere, Einfluss und sonstigem Ruhm ist so ziemlich an mir vorüber gegangen: wen darf ich also zwangsbeglücken?
Dabei ist mein Kümmerertrieb ziemlich unersättlich: früher war es die ganze Menschheit – jawohl, ich mache keine halben Sachen, schon gar nicht als Weltrevolutionär – heute mit 55Plus nur noch fast das Ganze. Also, um was, bitte, soll man sich kümmern?
Natürlich nur um den Balken, der einem sofort in meiner lieblichen Gegend ins Auge fällt. Um Einkaufswagen, natürlich! Was sonst, oder?
Dabei wohne ich unter den Reichen und Schönen, nämlich im reichsten Berliner Bezirk, Steglitz-Zehlendorf.
Okay, das mit den Reichen klappt bei mir persönlich nicht ganz, jedenfalls bin ich noch in der Ansparphase meiner ersten Million. Und dabei spare ich wirklich: ich kann gar nicht anders, habe ich es doch zu einem Zimmer Hochparterre mit echtem (!) 3D-Fernseher und Fahrrad gebracht, worauf ich sehr stolz bin, also auf den 3D-Fernseher.
Der wiederum ist schon im hohen Alter von 10 Jahren, aber funktioniert noch (Stiftung Warentest geprüft) und ist einer der letzten seiner Art, weil die 3D-Technik sich nicht durchgesetzt hat. 3D ist nur wirklich hervorragend für computeranimierte Kinderfilme von Pixar[1] und Dreamworks[2].
Wo war ich stehen geblieben? Bei den Schönen. Nun ja, es gibt schönere Ecken im lauschigen Steglitz. Und es gibt bei uns eigentlich nur die echt Schönen, weil es echt bei uns tatsächlich echte Armut gibt. Kein Scherz.
Ich hatte mich damals auch gewundert, als ich meine Wohnung vor fast 18 Jahren so schnell bekam. Steglitz ist eigentlich ziemlich begehrt. Nun ja, es gibt Ausnahmen.
Meine Viertel Klingsorstraße / Birkbuschstraße ist wohl so eine Ausnahme.
Im Corona-Jahr 2020 sind es gefühlt schon dreißig Einkaufswagen: 30 (!).
Samt zwei Ikea-Einkaufswagen, die sich in die Birkbuschstraße verirrt haben. Von mir (Klingsorstraße 51) bis zu Ikea am Südkreuz ist es gefühlt eine Weltreise.
Einkaufswagen schön scheppernd zum S-Bahnhof Rathaus Steglitz gefahren, dann S-Bahnhof Schöneberg in den Ring umgestiegen, eine Station bis Südkreuz, dann nochmal scheppernd 10 Minuten Sightseeing für den Einkaufswagen.
Denn eines muss man den Wagen lassen: sie leben und genießen meinen Hol-und-Bring-Dienst durchaus. Soviel zu sehen bekommen sie nie wieder.
Und erst die frische Luft zwischen den Gittern. So tief durchgeamtet haben sie noch nie. Und ich erst: soviel Aufmerksamkeit alleine durch das durchdringende Scheppern: selten wie nie sonst!
Meine Prime-Time ist ja Sonntagsmorgens: nein, nicht wie Sie denken, nicht um vier Uhr morgens, da sind noch alle Bürgersteige hochgeklappt, dann kann das mit dem Einkaufswagenklappern gar nicht klappen.
Nein, so ungefähr noch dem 8-Uhr-Gottesdienst: frisch gestärkt mit Gottes Wort und der heiligen Eucharistie, will ich den Glauben natürlich in guten Werken üben.
Und ist es nicht ein gutes Werk, fremdes Eigentum – sprich: Einkaufswagen im Wert von bis zu 100 Euro – seinem Besitzer zurückzubringen?
Jawohl, aber sowas von wohl!
Also, ich so in meinen Hochzeitsanzug – ja, nur Jesus bekommt alles zu sehen! – und mit Krawatte auf den Einkaufswagen zu und dann so gegen neun Uhr 30 die ganze Birkbuschstraße lang, hin zu Lidl.
Denn die meisten armen Steglitzer sind entweder Lidl- oder Aldi-Kunden.
Die Freude am Geräuschpegel ist ganz auf meiner Seite, glaube ich. Am besten kommen zwei riesige Aldi-Flachwagen, also Doppelpack. Das fezt und schrillt und scheppert, dass es eine wahre Freude ist.
Apropos Aldi: da ich Penny-Kunde bin (übrigens: noch nie musste ich einen Einkaufswagen von Penny zurückbringen musste – ihr seid die besten!), kenne ich mich mit den Typklassen der Fremdfabrikate nicht so aus. Also, es kommt schon einmal vor, dass der Wagen von Aldi aus der Goerzallee beim Aldi in der Bergstraße landete…
Ja, es ist nicht so einfach.
Und jetzt obiges Malheuer: ‚Herkules‘-Einkaufsmärkte gibt es bei uns nicht, googlen erbrachte kein Ergebnis.
Und das gab es noch nie. Echt nicht. Immer konnte ich Ordnung schaffen, immer.
Na, ich habe die beiden Einkaufswagen einfach Edeka in der Albrechtstraße zugeschlagen: Ordnung muss sein, gelle?
Irgendwie war die Welt als damaliger Revolutionär übersichtlicher: die Mühen der Ebene eben…

Ein Gedanke zu “Mein Heimholungsservice von Einkaufswagen…”