Allerheiligen

Am Grab meines Lieblingsprotestanten Reinhold George

Berlin, 30.Oktober 2021

Katholisch zu sein, heißt die Wahrheit zu lieben. Und die Wahrheit ist, dass Gott alle Menschen liebt. Und gerade Geschichten auf krummen Wegen schreibt.

Und die Wahrheit ist: ER will alle Menschen zu sich nach Hause in den Himmel ziehen, denn ER will alle zu Heiligen – Allerheiligen.

Vor fast einunddreißig Jahren wurde ich Christ: sechszehn Jahre evangelisch, mehr als vierzehn Jahre katholisch.

Es stellt sich mir die Frage: was bleibt und was zählt wirklich?

  1. Linksdrall der Evangelischen Kirche in Deutschland erinnert an den pseudo-katholischen ‚Synodalen Weg‘

Der großartige Verleger Axel Cäsar Springer war Mitglied der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland). Wegen der 68-er-Kulturrevolution unter dem linken Bischof Kurt Scharf trat er zu den so genannten Altlutheranern, der Selbständigen evangelisch-lutherischen Kirche‘(SELK) über.[1]

Springers Zeitungskonzern war den westlichen Werten verpflichtet: Pro-NATO, Pro-USA und vor allen Dingen Pro-Israel.

Er gehörte zu den ganz wenigen klugen Köpfen, die an der Wiedervereinigung immer festhielten. Nicht zuletzt sein Hauptquartier, das Springer-Hochhaus, wurde direkt an der Mauer, der Zonengrenze, errichtet.

Damals war Generalsuperintendent Helbich der Wortführer gegen den Linksdrall – so jedenfalls schreibt es ‚Der Spiegel‘.[2]

Den Namen Helbich kenne ich nicht. Und wie die Zusammenhänge von damals waren, weiß ich nicht. Ich kenne die Monatszeitschrift ‚Evangelische Sammlung‘ unter Reinhold George. Ein tadellos geführtes Blatt, ohne jeden Rechtschreibfehler. Und einzigartig in seiner Ablehnung der Frauenordination. Niemand wagte es, gegen diese Irrlehre zu löcken: nur Bruder Reinhold George.

Und dies ist umso erstaunlicher, weil die große Zeit der Konservativen nach Bischof Otto Dibelius lange vorbei waren: er hielt die Fahne hoch – er konnte nicht anders.

Für eine gute Sache zu streiten, muss nicht in Geschrei ausarten: schnell hat man sich heiser gebrüllt.

Damals war das Netzwerken angesagt, ohne dass der Begriff bekannt war. Im ‚Spiegel‘ heißt es weiter: „Et (sic) ist organisiert in der ‚Evangelischen Notgemeinschaft‘, den ‚Berliner Protestanten‘, der ‚Evangelischen Sammlung Berlin‘ und in der konservativen Fraktion der Berliner Synode, des Kirchenparlaments. Ende Februar hat er sich zur ‚Evangelischen Aktion Berlin‘ zusammengeschlossen und Ende März den kirchlichen ‚Notstand‘ festgestellt. Diese Woche soll auf einer Sondertagung der Synode endgültig abgerechnet und, wenn möglich, Scharfs Rücktritt erreicht werden.“[3]

Vom Netzwerken verstehen die damaligen Gottesstreiter einiges: und heute?

Der so genannte ‚Synodale Weg‘ fordert in seinem Grundtext die Abschaffung der katholischen Sexuallehre, wenn es auf Seite 10 heißt: „Das kann – je nach Lebensstand und Lebensphase – Unterschiedliches bedeuten: Zölibatär oder allein lebende Menschen werden ihre Sexualität legitimer Weise anders gestalten als Jugendliche, homosexuelle Paare oder Eheleute.“[4]

So erschütternd antikatholisch diese Irrlehre ist, so erschütternd ist der ausbleibende Aufschrei. Die drei bayrischen Regionalbischöfe Voderholzer, Oster und Hanke machen weiter wie bisher, als wäre nichts gewesen. Doch da war etwas: eine klare Mehrheit von 168 Ja-Stimmen und 28 Nein-Stimmen.[5]

Wir rechtgläubigen katholischen Laien stehen heute viel nackter unter den Wölfen, als es die Protestanten in den siebziger Jahren waren, weil der gesamte katholische Klerus versagt und gerade nicht den Protest erhebt, der einzig normal wäre.

Ja, wir Katholiken sprechen gerne von den lieben Protestanten. Ha, denken wir, die können ja nur Protest erheben – und spalten sich dann.

Wie wäre denn mal aus Versehen Protest auf katholisch: Protest erheben und den Heiligen Stuhl anflehen nach dem Motto – „Wir sind allesamt Versager und haben alle gemeinsam die Karre in den Dreck fahren lassen – Hilfe, wir brauchen Hilfe!“

  1. Echte Ökumene aus der Sicht eines Vertriebenen

Superintendent Reinhold George war ein Königsberger, der seine Heimat niemals vergessen konnte: warum auch, sie blieb letztlich eine große Kraftquelle.

Und das schlimme Schicksal Königsbergs mahnte ihn, denn das blühende lutherische Ostpreußen übernahm der Bolschewismus, der sich selbst als wissenschaftlich bezeichnende Materialismus.

Und dieser handelt revolutionär radikal. So erklärt sich kinderleicht die Kampfstellung Reinhold Georges gegen die marxistischen Umtriebe in Westberlin.

Von dem damaligen Pfarrer George in der Schöneberger Gemeinde ‚Zum Heilsbronnen‘ heißt es 1970: „hier ist man immun gegen den Einfluß der experimentierenden, skeptischen Strömung unter der Theologenschaft — eine Tatsache, die den Heilsbronnen für viele als ein Bollwerk des Glaubens erscheinen läßt.“[6]

Und er handelte nach dem Motto der Bekennende Kirche, der tapferen Opposition gegen die Nazi-Kirche im Dritten Reich: ‚Kirche muss Kirche bleiben‘. Im selben Zeitungsbericht heißt es: „Er hält sich fern von allem, was politisch gedeutet werden könnte So hält er es auch zu Hause, und seine beiden Amtsbrüder am Heilsbronnen ziehen mit: keine politische Predigt, keine liturgischen Experimente, keine neuen Gottesdienstformen, keine theologischen Extravaganzen. ‚Das alles wollen die Leute gar nicht, damit höhlt man die Kirche nur aus,‘ ist seine Ansicht. ‚Wir erleben es, daß Kinder aus Gemeinden, in denen experimentiert wird, von ihren Eltern zu uns zum Konfirmandenunterricht geschickt werden.‘“[7]

Und woher bekam er seine Kraft, wenn es in Deutschland schon in den siebziger Jahren so schlimm stand? Es schaute hin und hat seine heimatlichen Wurzeln niemals verleugnet.

Und diese Wurzeln sind der christliche Glaube, den ER in vielen Jahren gerade dort erneuert, wo der Bolschewismus schlimm gewütet hat: im Osten.

Wir lesen: „‘Und wissen Sie,‘ ruft der Pfarrer, ‚wo wir neu gelernt haben, was Singen und Beten ist? In der Sowjetunion! Das Singen und Beten hört dort nie auf. Tag und Nacht nicht. Schon durch Jahrhunderte hindurch.‘ Das zu hören, war mehr als eine Überraschung, fast wie ein Schock. Schon sechsmal haben Gemeindegruppen des Heilsbronnen Rußland besucht, das letzte Mal im vergangenen Herbst. Die siebente Reise wird vorbereitet. Den Anstoß zum Kontakt mit der russisch-orthodoxen Kirche gab 1965 der Metropolit von Jaroslawl, Johannes Wendland, als er bei einem Besuch in West-Berlin den Pfarrer George kennenlernte und einlud. Inzwischen ist George bei ‚Intourist‘ als liebenswerter, wenn auch hartnäckiger und dickköpfiger Kunde bekannt. Meldet er 50 Personen an, so werden laut Vorschrift mehrere Dolmetscher zugeteilt — er will nur einen. Er lehnt das feststehende Besucherprogramm ab — ‚Die Moskauer Metro und das Lenin-Mausoleum haben wir einmal gesehen, das genügt doch!‘ Er will nicht im Ausländerhotel, sondern in einem für Russen unterkommen. ‚Ich mache nichts Heimliches,‘ kommentiert er seine Gepflogenheiten. Und — man konzediert ihm alles, vor allem das selbst aufgestellte kirchliche Besuchsprogramm. Als das Patriarchat von Moskau der West-Berliner Kirchengemeinde eine wertvolle alte Ikone zum Geschenk machte, mußte von der Tretjakow-Galerie und vom Innenministerium die Ausfuhrerlaubnis erbeten werden. Sie wurde erteilt. Patenschaftliche Beziehungen zum Heilsbronnen bestehen seit 1966 mit der Moskauer Verklärung-Christi-Kirche ; dort nahm George im schlichten Talar des evangelischen Geistlichen an der Seite des im prächtigen Ornat gehüllten Erzpriester an einem Abendmahl teil. Im vergangenen September nun konnten sie zum ersten Mal e nach Sibirien und Zentralasien fliegen. Es wurde eine Reise der Superlative. George erzählt: ‚Uns, der kirchlichen Gruppe aus West-Berlin, gab die Technische Universität von Irkutsk am Baikalsee einen Empfang, auf dem wir mit überschäumender Herzlichkeit gefeiert wurden. Wir sahen mit Begeisterung die herrlichen alten Bauwerke von Buchara und Samarkand. Wir nahmen an einem Gottesdienst teil in der 8000 Menschen fassenden Kathedrale von Taschkent, die im Jahre 1956 — Sie haben sich nicht verhört, tatsächlich 1956 — neu erbaut worden ist. Anschließend lud uns der Erzbischof zu einem Beisammensein in die Taufkapelle. Danach bereitete uns die Gemeinde, die auf dem Vorplatz gewartet hatte, herzliche, ergreifende Ovationen. Ich lud den Erzbischof zu einem Gegenbesuch in unser Hotel ein — und als er im vollen Ornat eintrat, erhoben sich alle Hotelgäste von ihren Plätzen.‘ Schon bei ihren früheren Reisen hatten die Berliner überfüllte Gottesdienste erlebt. ‚Die russisch-orthodoxen Kirchen sind jeden Tag geöffnet, täglich gibt es Gottesdienste. An den Werktagen überwiegen zwar ältere Teilnehmer, sonntags aber sind junge Menschen unter den Gläubigen auffallend stark vertreten. ‚In Westsibirien, so erfuhren die Reisenden, gibt es viele lutherische Gemeinden mit eigenen Kirchhäusern. Einige von ihnen besuchten sie, so auch eine, der ein deutschsprachiger Laienprediger vorsteht, der in Zivil Tischlermeister und Leiter eines großen Kombinats ist. Die Gemeinden halten eng zusammen; zwar sind Sonntagsschule und jeglicher religiöse Unterricht nicht möglich, doch besorgen die Eltern die religiöse Erziehung des Nachwuchses. Die Kinder wachsen problemlos in die Erwachsenengemeinde hinein. Ähnlich liegen die Dinge auch bei den Russisch-Orthodoxen. Dazu sagt unser Landsmann: ‚Das alles bringt uns in tiefe Ergriffenheit, wenn wir unsere großstädtischen Berliner Verhältnisse dagegen setzen!‘“[8]

Und in Deutschland? Von Berlin aus liegt Polen rund hundert Kilometer entfernt. Die drei bayrischen Regionalbischöfe könnten sich leicht Hilfe holen und von den überfüllten polnischen Gottesdiensten lernen.

In Deutschland gehen laut offizieller DBK-Zählung 9,1% in den Gottesdienst, also satte 90,9% bleiben zu Hause.[9]

In Polen des Jahres 2019 waren es immerhin 36,9%, die an der Heiligen Messe sonntags teilnahmen.[10]

Einfach mal nach Osten schauen, liebe rechtgläubige Katholiken!

Reinhold George konnte das: vom Osten lernen, heißt überleben lernen, vielleicht auch siegen?

[1] Bruder General – DER SPIEGEL (abgerufen am 30.10.2021).

[2] Bruder General – DER SPIEGEL (abgerufen am 30.10.2021).

[3] Bruder General – DER SPIEGEL (abgerufen am 30.10.2021).

[4] 6.1_SV-II-Synodalforum-IV-Grundtext-Lesung1.pdf (synodalerweg.de) (abgerufen am 30.10.2021).

[5] Der Synodale Weg – offizieller Account on Twitter: „Der Grundtext „Leben in gelingenden Beziehungen – #Liebe leben in #Sexualität und #Partnerschaft“ wurde als weitere Beratungsgrundlage wie folgt angenommen: #SVII https://t.co/aRAlcQM3nk“ / Twitter (abgerufen am 30.10.2021).

[6] 1970_01_10_02.pdf (preussische-allgemeine.de) (abgerufen am 30.10.2021).

[7] 1970_01_10_02.pdf (preussische-allgemeine.de) (abgerufen am 30.10.2021).

[8] 1970_01_10_02.pdf (preussische-allgemeine.de) (abgerufen am 30.10.2021).

[9] Kirchenstatistik 2019: Deutsche Bischofskonferenz (dbk.de) (abgerufen am 30.10.2021).

[10] Weniger Gottesdienstbesucher in Polen | DOMRADIO.DE – Katholische Nachrichten (abgerufen am 30.10.2021).

5 Gedanken zu “Allerheiligen

      1. Vielen Dank für Ihre Antwort

        glauben heisst vertrauen

        wer wem Vertauen schenkt
        dem gibt es keine Gegenrede

        mir war der Erlöser
        nie ein persönliches Ereignis

        allein vor dem Unsagbaren
        zu stehen
        die eigene Sündenschuld
        auf keine andere Schulter

        das eigene Kreuz zu tragen
        das ist meine Entscheidung
        seit meinen Kindestagen

        mir bis zum letzten Atemzug
        das ist mein Weg

        ich gehorche ganz und gar
        ihrer täglichen Unterweisung
        der Seele

        Herzliche Grüße
        Ihr Hans Gamma

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      2. Ich bin wirklich ein Sünder. Wenn es um eigene Kinder dabei geht, ist es schwer, die schlimme Schuld selbst zu tragen. Die Folgen müssen wir meist selbst ertragen. Einen Gott dabei zu haben, der uns hilft, das Unerträgliche zu tragen – ist wichtig!

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      3. Vielen Dank für Ihr Bekenntnis.

        Jeder trage des anderen Last.
        Machmal hilft eine Beichte von Mensch zu Mensch.

        Wem Ihr die Sünden vergibt, dem sind sie vergeben.

        Es gibt die Sünde, die ist nur mit der Seele, ohne einen anderen dazu in Anspruch zu nehmen, mit der Seele allein, zu besprechen.

        Und was in der Tat, sündhaft gewesen, gibt die Seele, quer der Gedankenwelt, ob man will oder nicht, dem einzelnen Menschen, immer wieder bekannt.

        Keine Tat, keine Untat, kann in der Seele, von Menschenhand gelöscht werden.

        Eine Gott kann niemand zum Besitz haben, genau so wenig wie die Seele selbst.

        Es nicht wichtig, wie ein Mensch Busse tut, mit mea culpa, mea maxima culpa, an die Brust zu klopfen, ist nichts getan.

        Wer ohne Schuld, der werfe den ersten Stein.

        Es braucht die Einsicht, durch das Gewissen, das habe ich getan, und das war ich auch.

        Ich grüsse Sie herzlich.
        Ihr Hans Gamma

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