Meine Sommerlektüre

Meine Sommerlektüre: Peter Seewald ‚Benedikt XVI. – Ein Leben‘

Mehr zufällig kam ich an das Buch über Joseph Ratzinger. Eigentlich wollte ich den Scholastiker Bonaventura lesen, lateinisch-deutsch, drei Bände. Innerhalb von drei Wochen machbar. In der Sonne braten, eine Ladung von Früchtetee für zwei Stunden, eine Luftmatratze, mehr braucht es nicht.

Mit der Scholastik wollte ich mich über das Trauma des ‚Synodalen Weges‘ hinwegtrösten. Kraft aus dem Hochmittelalter für das einundzwanzigste Jahrhundert. Aber irgendwie entzündete sich in mir nicht das Feuer, das ich bei ‚Über den dreifachen Weg‘ (De triplici via) empfand.

Dann also den Bücher-Ratz, dachte ich. Ich liebte den ‚Katechismus der Katholischen Kirche‘ schon immer. Ich war immer der Meinung, dass Joseph Ratzinger ein feiner Kerl war, schon während meines Studiums der Evangelischen Theologie.

Nachdem ich sieben Jahre lang Kommunist war, erlebte ich den Zusammenbruch des Kommunismus mit der Maueröffnung 1989 als Befreiung. Endlich sein dürfen wie alle anderen, endlich Deutschland lieben dürfen und endlich ganz normale Gedanken haben. Für einen atheistischen Internationalisten eben nicht möglich, der DIAMAT, der dialektische Materialismus lässt es nicht zu.

Als Trotzkist nahm ich den Kampfnamen ‚Mahler‘ an, nach dem gleichnamigen RAF-Terroristen. Da man mit sieben Leuten (7!) nicht weit kommt, ging ich danach zur stalinistischen Konkurrenz, der SEW, dem West-Berliner Ableger der Sozialisten Einheitspartei der DDR, denn die hatten immerhin eine eigene Zeitung, ‚Die Wahrheit‘, auf Russisch: Prawda.

Mit dem Mauerfall war ich heimatlos geworden. Die komplette Ausgabe der braunen Lenin-Ausgaben war wertlos.

Mit meiner Bekehrung mit fünfundzwanzig Lebensjahren lernte ich Martin Luther kennen, den jungen katholischen Luther der Calwer Lutherausgabe, von dem ich dachte, er wäre der Glaubenskämpfer schlechthin.

Nein, der Luther der Frühzeit ist ein bodenständiger guter Kerl, der später zu einem handfesten Antisemiten wurde. Sein Grobianismus, seine abschätzigen Bemerkungen über alles, was ihm nicht passte, war gefürchtet. Er konnte kein guter Lehrer sein. Das musste ich lernen.

Die sieben Luther-Biografien waren also wertlos, weil sie von einem Menschen zeugten, der offensichtlich nicht gut war.

Als ich katholisch wurde, war mir wichtig, dass etwas bleibt. Der Katholizismus ist letztlich nicht das Werk eines einzelnen Menschen, eines genialen Gründers, der einen Namen hat.

Nein, Katholizismus ist Teamarbeit, es zählen alle, die dabeibleiben und sich auf eine gemeinsame Lehre verständigen können. Das ist der Unterschied zum Luthertum: ein Konzil ist die Zusammenarbeit von Menschen mit dem Heiligen Geist zusammen, weil wir Menschen einen freien Willen haben und eine Vernunft, die uns hilft, Gutes vom Bösen zu unterscheiden.

Und nun der ‚Synodale Weg‘: eine ganze Ortskirche – Bischöfe und vor allen Dingen ein riesiger Apparat von hauptamtlich bestellten Professoren, Doktoren, Religionslehrern, Gemeinde-Assistenten und Pastoralreferenten. Mehrere zehntausend getaufte Katholiken bekunden, die katholische Lehre nicht zu unterstützen. Das ist die Kernschmelze. Noch schlimmer ist nur noch, dass der Apostolische Stuhl nicht eingreift, derzeit nicht.

Lässt uns also Gott im Stich? Persönlich gefragt: muss ich jetzt wieder Bücher entsorgen, weil ich heimatlos geworden bin?

Nein, ich muss den Ratzinger nicht entsorgen, er liegt nicht hinter mir, sondern vor mir. Peter Seewald schreibt wunderbar und praktisch über alles, was ich nicht wusste. Ich wusste nicht, dass der Vater ein überzeugter Gegner der Nazis war und er für seine Kinder sogar betteln ging. Und ich wusste nicht, wie dramatisch der erzwungene Kriegsdienst für die Ratzinger Brüder wirklich war.

Und ich wusste nicht, wie die Sache mit Bonaventura und Michael Schmaus wirklich war, und nichts von der Warnung vor den Heiden in der Kirche schon 1958. Auf Seite 318 bin ich angekommen, von 1080, also nicht einmal ein Drittel. Viele Entdeckungen werde ich noch machen in der Woche, die noch vor mir liegt.

Eines aber ist glasklar: die Lektüre von Joseph Ratzinger ist für mich nicht beendet, sie liegt vor mir – sowie das Buch über die Liturgie, das ich noch nie gelesen habe, weil mich die Ordnung des Gottesdienstes bisher nicht sonderlich interessierte.

Und dann Josephs Meinung über Fides et ratio, natürlich in den ‚Gesammelten Schriften‘.

Nein, Gott hat es gut gemeint mit uns: ER schenkte uns einen feinen Kerl, den Bücher-Ratz, der schon 1958 gewusst hat, dass die katholische Welt nicht heil ist, bloß weil ein Apparat Geld hat.

Ob er ein Heiliger ist oder nicht, braucht hier nicht erörtert werden. Dass er es verdient gelesen, ja, studiert zu werden, ist sonnenklar.

Nein, Gott hat uns nicht verlassen. In der größten Krise des Katholizismus in Deutschland können wir fruchtbar machen, was einer der größten Deutschen gedacht hat.

Ja, Joseph Ratzinger ist rechtgläubig, das Gegenteil von den Anhängern des ‚Synodalen Weges‘. Und deshalb hassen sie ihn. Ein guter Grund, ihn zu entdecken und lieben zu lernen. Vielleicht bekommt er so die Anerkennung, die ihm in Deutschland bisher versagt wurde.

Lieber Joseph Ratzinger, bitte für dein Deutschland und besonders für deine Kirche! Amen.

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